Rezension

Wunderbarer Auftakt einer Reihe, die Highlight-Potenzial hat

Ansuz – Das Flüstern der Raben (1) -

Ansuz – Das Flüstern der Raben (1)
von Malene Sølvsten

Bewertet mit 5 Sternen

Ein rothaariges Mädchen. Ein verschneiter Wald. Ein Mann in heller Jacke und eine dünne Lederschnur, die sich langsam um den Hals des Mädchens zuzieht. Nacht für Nacht erwacht Anne schweißgebadet aus diesem immergleichen Albtraum, ohne je die Gesichter des Mannes oder des Mädchens sehen zu können und ohne Antwort auf die Frage, warum sich ausgerechnet dieser eine Traum ständig wiederholt. Denn sie hat zwar häufiger solche Visionen, in denen sie Ereignisse aus der Vergangeheit sieht, doch normalerweise durchlebt sie solche Szenen nur ein einziges Mal.

Dass einige Dinge gerade großen Veränderungen unterliegen, merkt Anne auch, als sie gleich am ersten Schultag zwei neue Freunde findet - sie, das Mädchen, das 17 Jahre lang Einzelgängerin war und immer von allen entweder angefeindet oder mindestens ignoriert wurde. Und als sich dann ganz in der Nähe einige Morde ereignen, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzen, ist klar - das alles kann nicht bloß Zufall sein.

Ohne dass sie recht weiß, wie ihr geschieht, findet Anne sich plötzlich mitten in einer Welt wieder, die direkt einem Lehrbuch zur nordischen Mythologie entnommen zu sein scheint. Aufgewachsen in einer ganzen Reihe an Pflegefamilien und Wohnheimen steht sie, die immer nur auf Ablehung gestoßen ist, mit einem Mal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und muss bald feststellen, dass ihre Unwissenheit sie in große Gefahr bringt.

800 Seiten wirken auf den ersten Blick vielleicht ersteinmal ziemlich abschreckend. Tatsächlich lohnt es sich aber, sich an diesen Wälzer heranzutrauen, denn langweilig wird es hier keine einzige Seite lang. Anne war mir vom ersten Moment an sympathisch, weil sie ganz anders ist, als man es von einer klassischen Fantasy- oder YA-Protagonistin vielleicht erwarten würde: sie geht anderen Menschen lieber aus dem Weg und macht ihr eigenes Ding, ist mürrisch und verschlossen und irgendwie von einer düsteren Aura umgeben. Einziger Begleiter ist ihr etwas furchteinflößender Riesenhund Monster und sie hat eine Vergangenheit, bei der die meisten lieber gleich einen großen Bogen um sie machen. Weshalb ich sie trotzdem gleich ins Herz geschlossen habe, kann ich gar nicht mal so genau sagen. Tatsache ist aber, dass sie und auch die anderen Figuren sehr authentisch geschrieben sind, seien es nun ihre etwas überdrehte Freundin Luna, ihr immer gutgelaunter und freundlicher Chef Frank oder der auf charmante Art hinterlistige Elias. Einzig Varnar, der stets in Annes Nähe ist und für den sie schon bald Gefühle entwickelt, mochte ich nicht, und für meinen Geschmack hätte die Geschichte diese Liebesbeziehung überhaupt nicht gebraucht.

Davon abgesehen hat mir das Buch aber wirklich gut gefallen. Die Mischung aus nordischer Mythologie und Krimielementen ist genau richtig, es ist düster (aber auch nicht zu sehr; an vielen Stellen ist es auch wunderbar humorvoll), man fiebert mit Anne mit und will am liebsten immer weiterlesen. Daher sind dann auch die 800 Seiten erstaunlich schnell geschafft und sollten kein Grund sein, sich diese Geschichte entgehen zu lassen. Dass ein solch dickes Buch keine einzige Seite lang die Spannung vermissen lässt, spricht eigentlich schon für sich. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf die Fortsetzung!