Rezension

Zauberhafte Geschichte zwischen Fantasy und fantastischer Realität

Geigenzauber - Maja Ilisch

Geigenzauber
von Maja Ilisch

Die 13-jährige Mia hat es nicht leicht im Leben. Ihre Mutter ist psychisch krank (wobei sie selber tatsächlich das Wort "verrückt" bevorzugt), und Mia und ihre Schwester leben in banger Erwartung, dass sie selber jeden Tag den Verstand verlieren könnten... Dass Mia Dinge sehen kann, die hinter den Spiegeln liegen, macht es nicht einfacher - ist es eine Gabe, oder ist es Wahnsinn? Dann hört ihre Schwester auf zu schlafen und hört Stimmen...

Mias angeblich beste Freundin Caro ist da kein Trost. Sobald deren großer Schwarm auf der Bildfläche erscheint, ist Mia abgeschrieben. Caro bittet sie sogar, die Straßenseite zu wechseln, weil sie nicht mit Mia gesehen werden will. Traurig und frustriert trifft das Mädchen das erste Mal auf Branwen, den überirdisch talentierten Straßenmusikanten mit den wunderschönen goldenen Augen, und sie lässt ihr tristes Leben hinter sich und folgt ihm auf eine ziellose Reise...

Pro:
Das ist mein zweiter Roman der Autorin - der erste war "Das Puppenzimmer" und der hat mich schon unheimlich begeistert. "Geigenzauber" ist etwas ganz anderes, aber nicht minder wunderbar geschrieben, unterhaltsam und außergewöhnlich.

Bevor ich auf die üblichen Punkte eingehe (Schreibstil, Spannungsaufbau usw.) will ich direkt eines loswerden. Ich hätte manchmal gerne laut applaudiert bei Sätzen wie:

"Liebe war schön, Liebe war wichtig, aber sie war nicht automatisch eine Gehirnwäsche."

In zu vielen Liebesromanen, fatalerweise gerade in denen für Jugendliche und junge Erwachsene, wird es so dargestellt, als müsse Liebe bedingungslose Selbstaufgabe bedeuten. Hobbies, Freunde, Verwandte, alles wird aufgegeben oder zumindest bedeutungslos. Da fand ich es unglaublich erfrischend, ein Buch zu lesen, das ein anderes und meiner Meinung nach gesünderes Bild vermittelt. Dadurch wird die zarte und erfreulich altersgerechte Liebesgeschichte nicht weniger romantisch!

In dem Buch geht es auch nicht nur um die Liebesgeschichte, die eher dezent im Hintergrund steht, oder um die übernatürlichen Aspekte. Ein Thema, dass sich durch das Buch zieht, ist die Frage: was ist verrückt, was ist normal? Mias Mutter hat mit ihrer Krankheit sehr zu kämpfen, und auch für ihre Familie ist es oft schwer, aber hat sie nicht trotzdem das Recht, glücklich zu sein, auf ihre ganz eigene Art? Dabei wird dieses ernste Thema mit viel Humor und fast schon poetischer Weisheit angegangen.

Diese Mischung aus ernsten Themen, Liebesgeschichte und Fantasy fand ich wirklich originell und mitreißend. Und gerade der Fantasy-Teil der Geschichte ließ sich nicht in eine Schublade quetschen und folgt keineswegs Schema F. Bis zum Schluss habe ich immer wieder daran gezweifelt, wem Mia trauen kann und wem nicht, was wirklich ist und was nicht... Besonders Branwen, den sie liebt, bleibt unergründlich und schwer einzuschätzen bis zum Ende. Dadurch blieb das Buch für mich auch spannend bis zur letzten Seite.

Mia, die im Mittelpunkt der Geschichte steht, fand ich großartig. Sie ist intelligent, tapfer und nimmt die Dinge nicht einfach hin, ohne sie zu hinterfragen. Ihr Leben ist nicht einfach, und manchmal entlädt sich ihre Wut an der falschen Stelle und auf die falsche Person, aber sie ist ja erst 13 und dafür ansonsten schon erstaunlich reif.

Branwen, rätselhaft und oft unnahbar, weckt direkt die Neugier: was ist er, was kann er, und am wichtigsten, was will er? Nicht immer ist er sympathisch, was aber auch einfach in seinem Wesen liegt (mehr kann ich nicht sagen, ohne zuviel zu verraten). Aber ich konnte Mias Gefühle für ihn gut verstehen - vielleicht weil ich mich als Teenager selber in einen etwas abgerissenen Traumtänzer mit Geige verliebt habe? In umgibt der Reiz des Unbekannten, und seine unbekümmerte Art, sich nicht in das "normale" Leben einzufügen, hat etwas Zauberhaftes.

Mias Mutter kommt manchmal als selbstsüchtig rüber: sie lässt ihre Töchter putzen und waschen, sie verschläft den halben Tag... Aber man versteht als Leser immer mehr, dass das Teil ihrer Krankheit ist, und dass sie ihr Bestes gibt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein gutes Leben zu leben. Ich denke, gerade für Jugendliche mit Eltern, die an psychischen oder anderweits chronischen Krankheiten leiden, könnte "Geigenzauber" ein aufbauendes, wichtiges Buch sein.

Der Schreibstil geht runter wie Honig: manchmal witzig, manchmal poetisch, manchmal traurig... Aber immer gut zu lesen und packend.

Kontra:
Am Anfang hatte ich ein etwas mulmiges Gefühl bei der Liebesgeschichte: ein 13-jähriges Mädchen, eigentlich noch ein Kind, und ein älterer Junge? Aber im Laufe des Buches hat sich dieses leichte Unwohlsein verflüchtigt, denn hier wird eines sehr einfühlsam und wunderschön geschildert: Liebe muss keine sexuelle Liebe sein, und vielleicht hat jedes Alter seine eigene Form der Liebe.

Hier passiert nichts, was auch nur den Hauch von etwas Unangebrachten oder gar Schädlichen hätte. Mia liebt, aber Mia ist wunderbarerweise frei von Gruppenzwang oder von den Medien suggerierter Sexualisierung.

Das Cover ist ganz nett, aber ziemlich nichtssagend, leider.

Zusammenfassung:
Ich würde das Buch vor allem an Mädchen der Altersgruppe 13 bis 15 empfehlen - aber nicht nur! Auch Erwachsene, die sich noch gut an dieses Alter erinnern können, werden von Mia und ihrer Geschichte verzaubert sein.