Rezension

Zum Meer

Zum Meer - Kathrin Groß-Striffler

Zum Meer
von Kathrin Groß-Striffler

Bewertet mit 5 Sternen

Ein aufwühlendes, eindringliches, intensives Buch, das Kathrin Groß-Striffler mit "Zum Meer" vorlegt.
Saskia ist zwanzig und hat eine nicht sehr glückliche Kindheit hinter sich. Die Mutter ist gestorben als sie erst zwei Jahre alt war, der Vater, Apotheker, hat sich danach in Arbeit und Alkohol geflüchtet. Saskia brach mit 16 die Schule ab, reiste durch die Welt, machte Drogenerfahrungen. Von einer dieser Reisen nach Brasilien kehrte sie schwanger zurück. Vater ist ein dunkelhäutiger Straßenverkäufer, Gelegenheitsdealer und -strichjunge. Er ist Saskias große, idealisierte Liebe, Sehnsuchts- und Fluchtpunkt im grauen deutschen Alltag, den Saskia abgrundtief hasst. Genauso hasst wie die meisten Menschen, die ihr zu spießig, egoistisch und kalt sind in diesem "Scheißland".
Auch um etwas zurückzubehalten von dem Geliebten Raffael und von Brasilien, das sie gleichsetzt mit Lebensfreude, Wärme, Freiheit, entschließt sich Saskia das Kind zu bekommen.
Das Buch setzt ein, als die kleine Mia-Sophie bereits ein Jahr alt ist. Ihre Mutter lebt in einer WG, kellnert und ist in ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter völlig überfordert. Sie flieht in Träume und schließlich real, zunächst allein an die Ostsee, später dann mit Kind nach Brasilien. Dort findet sie zwar Mias Vater, aber die kleine Familie hat keine Zukunft, Raffael will sich nicht binden. Zurück in Deutschland, beginnt sich das Rad erneut zu drehen.
Kathrin Groß-Striffler ist es auf beeindruckende Weise gelungen dem Leser Saskias schwierigen Charakter nahezubringen. Sie ist unreif, unzuverlässig, aufbrausend, ruhelos, voll Selbstmitleid, aber ohne Empathie gegenüber anderen, gierig nach Leben, oft voll Hass. Sie tut sich ungeheuer schwer, Hilfe anzunehmen, fordert diese aber gleichzeitig vehement ein. Schuld sind immer die anderen, im Zweifel die Gesellschaft. 
In einem kraftvollen inneren Monolog, in Gedankenströmen kommt uns diese junge Frau nah. Zu nah manchmal, denn sie ist wahrhaft keine Sympathieträgerin. Zwar liebt sie ihr Kind auf ihre Weise, vermag dieser Liebe aber keine Kontinuität zu geben. So schwankt auch der Leser zwischen zaghaften Verständnisversuchen für die überforderte junge Mutter und maßloser Wut über das verantwortungslose, ichbezogene Verhalten und erlebt so eine riesige Bandbreite an Emotionen. Die Sprache folgt seiner rastlosen Protagonistin, ist oft getrieben, gereizt, in seltenen glücklichen Momenten dann wieder ganz zart. Den Leser zieht sie in einen regelrechten Sog. 
Ein Buch und eine Protagonistin die berühren und verstören. Eindringlich und sehr empfehlenswert!