Rezension

Zwei starke Frauen

Das Geheimnis der Mittsommernacht - Christine Kabus

Das Geheimnis der Mittsommernacht
von Christine Kabus

Bewertet mit 5 Sternen

„...Angeblich heilt die Zeit alle Wunden. Aber sie kann die Lücke, die ihre Mutter hinterlässt, nicht füllen...“

 

Wir schreiben das Jahr 1895. In Bonn findet ein Fest zu Ehren von Olaf Ordal statt. Der junge Jurist soll eine Stelle auf Samoa antreten. Seine Frau Clara, die in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, und der kleinen Sohn Paul werden ihn begleiten. Dann aber erhält Olaf einen Brief. Seine Mutter liegt im Sterben. Olaf hatte den Kontakt zu seinen Eltern abgebrochen. Nun fährt er mit seiner Familie in das norwegische Städtchen Roros. Nach dem ersten Gespräch zwischen Olaf und seinen Eltern kommt es zu Katastrophe. Plötzlich ist Clara auf sich allein gestellt.

In Roros hat der Bergwerksbesitzer Ivar Svartstein das Sagen. Im Jahre 1895 stirbt seine Frau bei der Geburt des einzigen Sohnes. Auch das Kind überlebt nicht. Während für die ältere Tochter Silje das Leben weitergeht, trauert die 19jährige Sofie um die Mutter.

Die Autorin hat einen fesselnden historischen Roman geschrieben. Das Buch lässt sich angenehm lesen und hat mich schnell in seinen Bann gezogen.

Nach den ersten Kapiteln verlagert sich die Handlung komplett nach Norwegen. Dort laufen zwei Erzählstränge parallel. Zum einen darf ich das Leben von Sofie, zum anderen von Clara begleiten.

Beiden Frauen ist gemeinsam, dass sie bestrebt sind, auf eigenen Füßen zu stehen. Clara muss das notgedrungen, Sofie braucht eine Aufgabe, um den Tod der Mutter zu verarbeiten.

Der Schriftstil des Buches ist vielseitig. Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Besonders deutlich werden die unterschiedlichen Charakterzüge von Silje und Sofie herausgearbeitet. Silje ist kalt, berechnend, überheblich. Wer sich ihr in den Weg stellt, hat nichts zu lachen. Sofie dagegen interessiert sich für Literatur, geht auf die Menschen zu und hat keinerlei Standesdünkel.

Auch Land und Leute werden gut beschrieben. Die Tratschweiber in der Apotheke, Sofies Tante, die ihr Leben trotz mehrerer Kinder mit Bravour meistert, der alte Gundersen, der Paul in schwieriger Zeit auffängt, und die gutherzige Herbergswirtin von Clara sind Beispiele dafür. Gekonnt in die Handlung integriert wird die Geschichte des Dorfes. Ich war erstaunt, wie groß deutsche Einflüsse im norwegischen Bergbau waren. Auch die aktuelle politische Lage wird angemessen berücksichtigt. Hier spielen vor allem die gegensätzlichen Meinungen zur Abhängigkeit Norwegens von Schweden eine Rolle. Kleingeisterei und Vorurteile machen nicht nur Clara das Leben schwer. Immer aber findet sie Mitstreiter, die sie aufbauen. Zwei besondere Stilmittel hat die Autorin hier eingebaut. Es gibt zwei Menschen, die für Clara eine entscheidende Bedeutung haben. Das ist zum einen die Ordensschwester Gerlinde, die im Waisenhaus für Clara wie ein Mutterersatz war. In schwierigen Situationen fragt sich Clara, was Gerlinde dazu gesagt hätte. Die Ordensschwester war nicht nur liebevoll um das Mädchen besorgt, sie hat sie auch im festen Glauben erzogen und ihr Toleranz gegenüber Andersdenkenden vermittelt. Als Katholikin hat es Clara im protestantischen Norwegen nicht einfach. Die zweite Person ist Claras beste Freundin Ottilie. Ab und an hat Clara ihre kurzen und prägnanten rheinische Sprüche im Ohr. Sie geben den Buch eine Prise Humor. Poetische Stellen finden sich unter anderem beim Betrachten der Polarlichter. Die Autorin findet passende Worte für die Emotionen ihrer Protagonisten. Obiges Zitat fällt im Gespräch des Kantors mit Sofie. Aussagekräftige Dialoge beleuchten die Zeitverhältnisse und unterschiedliche Einstellungen zu politischen Fragen. Auf alle Feinheiten des Buches einzugehen, würde den rahmen dieser Rezension sprengen.

Ein ausführliches Personenregister und zwei Karten am Anfang des Buches ergänzen die Handlung.

Das Cover mit der Hütte am See und den in verschiedenen Rottönen leuchtenden Himmel wirkt sehr ansprechend.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es zeichnet ein Stück Lebensweg zweier starker Frauen. Gleichzeitig zeigt der Blick in die Vergangenheit, wie unterschiedlich Menschen mit Verletzungen umgehen.