Magazin

Eine Fluchtgeschichte

Leseprobe aus "Nennen wir sie Eugenie"

Eugenie kommt aus dem Senegal, den sie verlassen musste, weil sie eine andere Frau liebt. Sich erhofft sich in Deutschland Hilfe und gastfreundliche Aufnahme und stellt einen Asylantrag. In einer Sammelunterkunft muss sie tatenlos darauf warten, was andere über ihr Schicksal entscheiden.

....Dann gab sie sich einen Ruck und verließ das Zimmer. Sie schloss ab und begann damit, das Haus zu erforschen, das nun für die nächste Zeit ihr Zuhause sein würde. Ihr Zimmer befand sich im Erdgeschoss. Von einem langen, breiten und dunklen Flur gingen viele Türen ab, hinter denen sich andere Zimmer und andere Menschen befanden. Die alte Kaserne besaß drei Stockwerke und unzählige verschieden große Räume, einige so klein wie das von Eugenie, die meisten aber groß und mit mehreren Bewohnern besetzt. Aus den Türen tönte Musik aller Art, Streit, Lachen, Kindergeschrei und ein Gewirr vieler unterschiedlicher Sprachen. Im Erdgeschoss gab es eine große Küche, deren Einrichtung aus ein paar sehr alten Herden bestand, die teilweise ihre Drehschalter und Knöpfe verloren hatten. Geputzt worden waren sie wohl schon lange nicht mehr. Genauso wenig wie das große Spülbecken aus ursprünglich weißem Porzellan, das viele Risse aufwies und wohl nicht ganz dicht war, wie die Pfütze darunter ahnen ließ. Eugenie konnte sich nicht vorstellen, hier zu kochen, auch wenn der appetitliche Geruch, der in der Luft hing, ihr Hunger machte. Es konnte noch nicht allzu lange her sein, dass hier gekocht worden war, obwohl sich nirgends eine Menschenseele blicken ließ.
Sie ging weiter, der unterwegs immer stärker werdende Geruch nach Urin zeigte ihr den Weg zu den Toiletten. Sie warf einen kurzen Blick hinein, schloss aber schnell die Tür wieder hinter sich und ging die Treppe hinauf ins erste Obergeschoss, in der Hoffnung, dort etwas bessere Zustände vorzufinden. Im ersten Stock gab es keine Küche, dafür Gemeinschaftsduschen, die nur unwesentlich sauberer waren als die Toiletten im Erdgeschoss. Die einzelnen Duschkabinen waren durch Bretterwände, die unten und oben offen waren, voneinander abgetrennt. Ein Vorhang aus Plastik verschloss die Kabine nach außen. Bei den meisten waren einige Ringe ausgerissen und Eugenie unterteilte die Kabinen in gute und schlechte, je nachdem, ob die Aufhängung in der Mitte oder am Rand defekt war, was dann keinen vollständigen Sichtschutz bot. Zu allem Überfluss schien es keine getrennten Duschen für Männer und Frauen zu geben. Eugenie, die es gewohnt war, täglich zu duschen, grübelte, wie sie dieses Problem lösen sollte. Dann erinnerte sie sich an ihr privates Waschbecken im Zimmer und beschloss, dass dies wohl zunächst genügen müsste. Auch der dritte Stock war nicht besser. Es roch noch schlimmer nach Urin als unten. In der Mitte hatte Eugenie keine Toiletten finden können, was den fehlenden Geruch erklärte. Duschen gab es keine, Toiletten und Küche waren in einem ähnlichen Zustand wie im Erdgeschoss.
Besonders willkommen schien sie den Deutschen nicht zu sein, überlegte Eugenie, während sie die Treppe wieder nach unten ging.

Kommentare

schatzye kommentierte am 30. Juni 2014 um 19:18

Wenn ich das richtig sehe, ist es dein selbst geschriebenes Buch. Ich hätte an dieser Stelle deine Gedanken zu dem Buch interessant gefunden: z.B. wie du darauf gekomme bist? Ob es deinen Anfangserwartungen entspricht? Wie es war das Buch zu schreiben? Ist es dein erstes Buch? Vielleicht hat ja jemand mit einem Blog - mit eventuell Erfahrung in solchen Interviews - Interesse dir ein paar Fragen zu stellen :)

Maria Braig kommentierte am 30. Juni 2014 um 21:06

Du hast recht, es ist mein erstes selbst geschriebenes Buch. Zuvor habe ich eine Anthologie mit Texten von Flüchtlingen und anderen Migrant*innen herausgegeben. Das heißt ich habe gesammelt und zusammengestellt.

Der Roman ist aus der Recherche für einen Artikel über lesbische Flüchtlinge im deutschsprachigen Raum entstanden.  Eine Mitarbeiterin der Schweizer Sektion von amnesty international erzählte mir in anonymisierter Form, was sie vom Schicksal der jungen Senegalesin wusste, einem Schicksal unter vielen: „Nennen wir sie Eugenie“, so begann ihr Bericht. Im Artikel ließ sich die Geschichte von Eugenie nur kurz streifen, das war mir zu wenig und so begann ich auf der realen Grundlage dieses Schicksals einen Roman zu entwickeln. Die Einzelheiten allerdings sind erfunden oder anderen Lebensgeschichten entnommen, sie könnten so geschehen sein, aber auch ganz anders. Eugenies Geschichte handelt in Deutschland anstatt in der Schweiz, da mir die Verhältnisse, in denen Flüchtlinge hier (über)leben müssen, bekannter sind, als im Nachbarland. Die Fakten beziehen sich nicht auf eine Stadt oder ein bestimmtes Bundesland, hier mischt sich vieles aus unterschiedlichen Regionen und verschiedenen Herangehensweisen, die aber letztendlich alle so angelegt sind, dass die Flüchtlinge sich im Zufluchtsland nicht wohlfühlen sollen, um sie schnellstmöglich wieder loszuwerden.