Rezension

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Absolut lesenswert

Flaschenpostgeschichten - Oliver Lück

Flaschenpostgeschichten
von Oliver Lück

Bewertet mit 5 Sternen

Facebook, Twitter, LinkedIn, XING – nahezu jeder Mensch, der im Besitz eines Computers oder Smartphones ist, hat schon einmal ein soziales Netzwerk gesponnen. Doch das Kennenlernen und Kommunizieren mit Menschen, die auf der ganzen Welt verstreut sind, ist keine Idee aus dem 21. Jahrhundert. Schon viel früher gab es diese Sehnsucht, die unter anderem per Flaschenpost gestillt werden konnte. Diesem Thema hat sich der Journalist und Fotograf Oliver Lück in seinem neuesten Buch “Flaschenpostgeschichten” angenommen.

In gewisser Weise ist dieses Buch ein Fortsetzungsroman: Oliver Lück ist ein moderner Abenteurer, ein Herumstreuner im positiven Sinn, der schon in diversen Onlinemedien und nicht zuletzt in seinem ersten Buch “Neues vom Nachbarn” (erschienen am 2. Mai 2012 im Rowohlt Taschenbuch Verlag) interessante Menschen aus ganz Europa vorstellte und ihnen wunderschöne Geschichten entlockte.

Als ich sein neuestes Werk also in den Händen hielt, fühlte es sich für mich ein bisschen so an, als käme ich nach Hause oder besuchte wenigstens einen guten Freund. Der Inhalt des Buches bestätigte dieses Gefühl.

Es beginnt mit einer alten Bekannten: Biruta Kerve aus Nida in Lettland, der Oliver Lück schon ein Kapitel in “Neues vom Nachbarn” gewidmet hatte, und die ihren Garten mit Treibgut aus der Ostsee verschönert. Ihre Geschichte wird hier ein gutes Stück weiter ausgeführt und ist der Auftakt einer kurzweiligen Reihe von Porträts über Menschen, die in ihren Grundsätzen zwar verschieden sind, die aber eines verbindet: Flaschenposterlebnisse.

Da wäre zum Beispiel Thomas Masloboy aus Sassnitz auf Rügen. Oliver Lück bezeichnet ihn als Flaschenpostspezialist, und das ist wohl nicht untertrieben: Er, Masloboy, hat im Laufe seines Lebens schon mehr als 150 Flaschen auf die Reise geschickt. Wenn man so will, ist er so etwas wie ein roter Faden, der sich eine Zeit lang durch das Buch zieht, denn die Mehrzahl der Kapitel handelt von jenen Flaschen, die von seiner Hand ins Meer befördert wurden. Eine davon landete beispielsweise auf der schwedischen Insel Ungskär, auf der ganze fünf Menschen leben – unter anderem meine Lieblingsperson im gesamten Buch, der Hafenmeister Arne Nordström. Über die Inhalte der einzelnen Kapitel, die Oliver Lück hervorragend miteinander verstrickt, möchte ich gar nicht zu viel verraten. Nur so viel: Oliver Lück versteht es meisterhaft, Orte, Begebenheiten und Menschen bis ins kleinste Detail zu beschreiben, ohne dabei unnötig viele Worte zu verlieren. Es ist, als verbrachte man selbst Zeit am kleinen Stadtstrand von Selenogradsk oder erfahre am eigenen Leib, wie sich das Leben in einem abgeschirmten Wohngebiet auf der Halbinsel Msasani in Tansania anfühlt. Und wenn der oben erwähnte Thomas Masloboy sagt, dass “der Blick aufs Wasser den Kopf frei macht”, dann ist einem dieser Mensch mit seinem Schicksal, das ihm widerfahren ist, so nah, dass man unweigerlich eine Träne verdrücken muss. Darauf muss man sich einstellen: Wer Oliver Lück liest, darf sich auf interessante und oft auch bittersüße Geschichten freuen.

Jedes Kapitel der “Flaschenpostgeschichten” besteht aus zwei Teilen. Nach einem Porträt bzw. der Geschichte über eine Flaschenpost hängt sich stets eine Information darüber an. Das kann ein Blick hinter die Kulissen des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie sein, der uns zeigt, wie Sturmfluten und Gezeiten vorausgesagt werden oder die Zeilen über den schönen Versuch Oliver Lücks, einen Flaschenpostautomaten zu etablieren oder aber die wirre Geschichte um den angeblich ältesten Buddelbrief der Welt.