Rezension

Aus dem Leben einer Femme Fatale

Der Rache süßer Atem - Christine Eichel

Der Rache süßer Atem
von Christine Eichel

Bewertet mit 4.5 Sternen

Maria wird 40. Und ist allein. Kein Mann, kein Kind. Dabei kriegt sie schon feuchte Augen, wenn sie das Familienglück von anderen nur aus der Ferne beobachten muss. Nichts wünscht sie sich mehr als einen Mann an ihrer Seite - und dafür hat sie alles getan. Den Männern das gegeben, was sie wollten. Sex, Unterstützung, Fürsorge bis zur Selbstaufgabe. Und was gaben sie ihr zurück? Nichts, außer einem ganzen Haufen gebrochener Herzen. Damit ist jetzt Schluss - Maria beschließt sich zu rächen. Einen nach dem anderen lässt sie ihre Exfreunde auf blutige Weise von der Bildfläche verschwinden..

Was diesen Thriller hier definitiv zu etwas besonderem macht ist die Protagonistin. Anfangs fragt man sich als Leser noch, wie aus der schwachen, verschüchterten Maria, die niemand so recht ernst nimmt (auch wir als Beobachter nicht) irgendwann einmal ein Racheengel werden soll, der die Männer das fürchten lehrt. Das wirkt eher unwahrscheinlich, wenn nicht sogar unmöglich. Christine Eichel hat sich aber so gut in ihre Protagonistin hinein versetzt, dass der Bogen fantastisch gespannt wurde - alles ist authentisch, man nimmt ihr den Sinneswandel unglaublicherweise komplett ab. 
Und plötzlich ist die Madame dann auch sympathisch. Ja, richtig hier kommt das zum Vorschein, was ich gerne das "Dexter Phänomen" nenne - ihr erinnert auch? Der charismatische Serienkiller, der trotz unzähliger Morde irgendwie immer der gute Kerl der Serie blieb? Genau das passiert auch mit Maria. Sie zieht mordend durch die Welt, geht in ihrer Selbstjustiz voll auf und trotzdem sitzt man vor den Seiten und denkt sich "Mäuschen, du schaffst das. Drei noch, dann kannst du abhauen und irgendwo anders dein Glück versuchen." Denn genau das will man für sie - dass sie ihr Glück findet. Die eigene Moral wird da aus Sympathiegründen mal ganz schnell irgendwo versteckt. Allein das, was mit mir selbst beim Lesen passiert ist - denn wenn man bemerkt, was man da gerade denkt muss man doch manchmal schmunzeln - hat das Lesen für mich zu einem absoluten Vergnügen gemacht.

Denn irgendwie kann man Maria ja auch verstehen, so als Frau. Von Männern verarscht wurden wir vermutlich alle schon mal, wer allerdings so eine Breitseite wie Maria abbekommen hat (sicher nicht ganz unschuldig, trotzdem tut sie einem Leid) überlegt aber sicher mal, ob ein Kloster nicht vielleicht eine gute Wahl wäre. Als I - Tüpfelchen ist Maria dann auch noch mit einer seltsam unterkühlten Mutter und einer besten Freundin gestraft, die es treffsicher schaffen, alles nur noch schlimmer zu machen. Einzige Ausnahme in diesem Fiasko, dass ihr Privatleben darstellt ist Henry, Chef, bester Freund und Retter in der Not. Nur genügt das Maria irgendwann einfach nicht mehr. Wer will es ihr verübeln..

Abgesehen von dieser wirklich spannenden Persönlichkeitsstudie einer Frau, der irgendwann die Sicherungen durchgebrannt sind bietet die Autorin dem Leser hier auch sonst alles, was man von einem guten Thriller erwartet. Eine ganze Menge Spannung, einen fantastischen Schreibstil, die eine oder andere Überraschung und sicherlich die eine oder andere schlaflose Nacht - nicht aus Angst, nein, nur weil man das Buch sicher nicht so schnell wieder aus den Fingern legen wird.

Das eine Sternchen Abzug gibt es, weil die Reaktion von Marias Exfreunden für mich phasenweise einfach nicht authentisch war. Keiner nimmt sie ernst, schon klar, sie kennen sie ja alle nur als das kleine Mäuschen, aber dennoch - da steht eine Frau mit geladener Waffe vor ihnen, die auch gerne mal zum Beweis das eine oder andere Teil der Wohnungsdekoration in Schutt und Asche schießt. Spätestens da kriegt mans doch einfach mit der Angst zu tun. Ein paar schlotternde Knie wären mir also lieber gewesen als der Hochmut, den die Herren der Schöpfung hier an den Tag legen. Auch wenn man ihnen so den Tod natürlich nochmal mehr gönnt..

Alles in allem ist das aber mal wieder Jammern auf ganz hohem Niveau - ich bin normalerweise absoluter Hassgegner von offenen Enden, aber selbst das hat Eichel so hingekriegt, dass es passt. Großes Kino für's Hirn!