Rezension

Aus der Stille entsteht Musik - poetisch, zart und intensiv

Bin das noch ich -

Bin das noch ich
von Stefan Moster

Bewertet mit 5 Sternen

Der Berufsmusiker Simon steht an einem Wendepunkt in seinem Leben. Es kündigt sich schon eine Weile an und plötzlich ist er da, der Tag, an dem nichts mehr geht. Zwei Finger seiner linken Hand versagen rigoros den Dienst und ein Leben als Violinist ist zumindest vorläufig nicht mehr möglich.

Noch halbwegs im Schockzustand, wird Simon von einer Musikerkollegin an einen ruhigen, menschenleeren Ort gebracht. Auf eine kleine Schäreninsel mit einer Hütte. Dort soll Simon zur Ruhe kommen und sich seiner Situation bewusst werden, um alles weitere in die Wege zu leiten.

Während Simon die Vogelwelt auf der Insel beobachtet und lieben lernt, tritt ihm die Tragweite seiner Situation immer deutlicher vor Augen. Schon bald erkennt er, dass er bisher nur zum Musizieren gelebt hat und es umkreist ihn angesichts des Verlustes seiner musikalischen Fähigkeiten nun die Frage „bin das noch ich?“. Was bleibt von ihm übrig ohne das Musizieren?

„Und Musiker sprechen über Musik. Vor dem Auftritt sprechen sie darüber, wie sie es tun wollen, nach dem Auftritt, wie sie es getan haben, und falls sie danach nicht auseinandergehen, können sie den Rest des Abends damit verbringen, darüber zu reden, wie sie es künftig tun werden.“ (S.84)

Simon ist völlig hilflos, weiß nicht, wie sich ein neues Leben anfühlen soll, worüber er ab jetzt sprechen soll, wenn nicht über das Musizieren. Und so reiht sich Woche an Woche, die er braucht, um für sich ein bisschen klarer zu sehen und zu sich neu zu finden…

Der ganze Roman fühlt sich im Grunde an wie

 „[…] eines der Werke von Bach […], die so klingen, als bewegten sie sich außerhalb der Chronologie, weil ihre Verlaufsbogen das Ende nicht vorausahnen lassen, bis kurz vor Schluss wirken sie so, als würden sie niemals aufhören, ein endloses Gespräch mit Gott und der Welt, eine Auflehnung gegen die Diktatur der Zeit. Ein Protest gegen die Sterblichkeit.“ (S.48)

Das Ringen mit sich selbst und dem Sinn des Weiterlebens sind immer wiederkehrende Gedanken, die sich vor und zurück bewegen, begleitet vom Klang der Natur, den Simon stetig deutlich wahrnimmt. Lange lehnt er sich auf gegen das Unvermeidliche: das Akzeptieren der Situation. Bei diesen hin- und her-schweifenden Gedanken erfahren wir einiges aus der Vergangenheit Simons, lernen sein langjähriges künstlerisches Vorbild Darjia kennen, der Simon in (nie abgeschickten) Briefen seine Gedanken nahebringt, und um deren Familie in der Ukraine er sich angesichts der schrecklichen Kriegsumstände sorgt. Nicht zuletzt erfahren wir viel Biografisches über den Komponisten B. Bartók, dessen Sonate für Solovioline Simon zuletzt gespielt hat.

„Wenn Bartók der Sologeige Vogelstrophen schrieb, stellte er sich womöglich vor, dass statt der Vögel Geiger in den Bäumen hockten und von dort ihre Melodien aussandten, so lange, bis die Liebe zuschlug und sie daraufhin verstummten. Wo noch schön gespielt wird, herrscht die werbende Sehnsucht. Aus ihr heraus entsteht Musik. Ist der Wald dann still geworden, heißt es, dass er vor Erfüllung schweigt. Er steckt voller Liebe und ihrer Folgen.“ (S.57)

Man könnte endlos weiter zitieren aus dem so zart-poetischen Roman, in dem das Innerste von Simon sensibel auf alle Veränderungen im Außen reagiert und die Welt neu entdeckt, wo jedes Geräusch in der Stille der Insel an Musik erinnert und Simon mehr und mehr spüren lässt, dass die Musik ihn nie verlassen wird.

Mein Fazit: Wunderschöne Naturbeobachtungen und Klangerlebnisse in Verbindung mit Sinnfragen eines Musikers und dem Mut, einen Neubeginn zu wagen, machen den Roman zu einem intensiven, poetischen, stillen, zarten Meisterstück, dessen Klangvolumen noch sehr lange in mir nachhallen wird. Nicht nur für Musikliebhaber*innen sehr empfehlenswert. (Aber ganz besonders für diese!)