Rezension

Boot, Wasser, Vogel und Note.

Bin das noch ich -

Bin das noch ich
von Stefan Moster

Bewertet mit 3.5 Sternen

Roman zum Entschleunigen: viel Musik, viel Natur.

Ausnahmsweise einmal möchte ich das ausdruckstarke Cover dieses Romans loben; es passt perfekt zum Geschehen. Denn der Protagonist, Simon Abromeit, lebt ein paar Wochen lang allein auf einer Insel mit reicher Vogelwelt. Er ist Musiker und geschockt, weil seine Finger ihm den Dienst versagen. Berufskrankheit. KarriereEnde.
Stefan Moster verknüpft das Erleben der Natur mit dem Erleben der Musik. Die Vogelwelt der Insel mit seinen besonderen kleinen Höhepunkten nimmt den Musiker allmählich gefangen. Den Leser auch. Dennoch kreisen die Gedanken des Violonisten unaufhörlich um die beiden Stücke, die er zuletzt einstudiert hat, zwei Solostücke für Violine, eins von Bach und eins von Bártok. 

Der Kommentar: 
Insel und Natur funktionieren immer. Auf dieser Schiene funktioniert Mosters Roman ganz hervorragend.
Was nicht so recht funktioniert, ist das Zwiegespräch des Violonisten Simon Abromeit mit einer imaginierten berühmten Violonistin in Briefen, wodurch der Musiker seinen zwiespältigen Gefühlen auf die Spur kommen möchte.
Warum muss diese Violonistin ausgerechnet eine Ukrainerin sein? Man merkt das Anliegen Mosters: unbedingt muss in den Roman hinein, wie nahe ihm das Kriegsgeschehen in der Ukraine geht. Davon hat aber niemand etwas. Die Ukrainer nicht und der Roman auch nicht, diese Linie wirkt krass aufgesetzt.

Weil der Protagonist das Leben und Leiden Bachs und Bártoks während seiner musikalischen Studien akribisch recherchierte und während seiner Inselzeit darüber resümiert und in Beziehung zu seinem eigenen Erleben setzt, erfährt auch die Leserschaft Details aus den schwierigen Lebensphasen dieser beiden Musiker. Insoweit hat man in dem Roman „Bin das noch ich?“ eine Minibiografie Bela Bártoks. Die intensiven Passagen über Details einzelner Musikstücke sind zum Teil jedoch langatmig.  Stefan Moster reizt die Beschreibungen der musikalischen Werke zu sehr aus. Denn er muss damit rechnen, dass, wer die vorgestellten Stücke nicht kennt und zwar sie nicht in- und auswendig kennt, damit wenig anfangen kann, selbst dann nicht, wenn diese Beschreibungen vom Autor lyrisch verpackt werden. Inwieweit man Musik verbal transportieren kann, steht sowie so in Frage. Jeder, der es versucht, muss scheitern.

Was im Roman schmerzhaft fehlt, ist indes die Identitätssuche des Musikers. Wer er ist, wenn er kein Musiker ist, erfahren wir nicht. Denn der Violonist setzt sich zwar mit Musik auseinander und mit dem Verlauf seiner Musikerkarriere, wie könnte es anders ein in einem Musikerroman, aber letztlich erfährt man kaum etwas über den Protagonisten und seine Persönlichkeit.
Eine Identitätskrise liegt vor, aber eine Identitätssuche im eigentlichen Sinne findet nicht statt. Deshalb kann der Roman bei mir nur bedingt punkten. Ein wenig Ornithologie hebt diesen Mangel nicht auf. Die Frage, „Bin das noch ich“, lautet im Buch nämlich schlicht und einfach, „wieviel Musik kann ich behalten, wenn ich nicht mehr aktiv musizieren kann“ – und damit geht der Roman in eine Engführung und an seinem durch den Titel suggerierten Thema vorbei. Er ist hübsch geschrieben, ohne Zweifel, beschränkt sich aber auf musikalische Details und ornithologische Beobachtungen. 

Fazit: Sehr spezieller Roman für Musikliebhaber und Musikkenner. Hübsch geschrieben; geht aber nicht unter die Haut. 

Kategorie: Mit Anspruch.
Verlag: Mare, 2023