Rezension

Ausgeburt höllischer Glückseligkeit

November -

November
von Thomas Olde Heuvelt

Bewertet mit 5 Sternen

Die Bewohner der Bird Street in Lock Haven teilen eine Besonderheit: Sie sind allesamt überdurchschnittlich erfolgreich, erfreuen sich bester Gesundheit und strahlen vor Glück. Doch im November verkehrt sich das übersägliche Wohlbefinden ins absolute Gegenteil. Einmal pro Jahr zahlen sie den Preis für weitere elf Monate unverschämter Glückseligkeit.

Thomas Olde Heuvelt hat mit seinem Horror-Roman "November" bleibenden Eindruck hinterlassen, weil mir das Buch so richtig unter die Haut gegangen ist. Nachdem ich mich bereits in Katherine aus "Hex" verliebte und mein Olde-Heuvelt-Enthusiasmus durch ein für mich enttäuschendes "Echo" ausgebremst war, freue ich mich umso mehr, dass der Autor für mich zur wahren Größe unter den Horror-Autoren wird.

Dazu lädt er in Lock Havens Bird Street ein, wo man einer Familie inmitten einer höllischen Nachbarschaft zur Seite steht. Die Brasilianerin Luana ist bei einem Verkehrsunfall in ihrem Heimatland eigentlich gestorben. Doch ein Pakt rettete sie vor dem Tod, der ihr neben einem berauschenden Leben aus Glückseligkeit, einen liebevollen Ehemann und zwei gesunde Kinder bescherte.

Dies gilt allerdings nur für elf Monate im Jahr, denn im November kehrt sich alles ins Gegenteil: Statt von glücklichen Zufällen und Fügungen beseelt, werden sie vom Pech verfolgt und in eine düstere Abwärtsspirale gezogen, die selbst die tapfersten Bewohner der Bird Street in depressive Zustände versetzt.

Das Ende wird durch zweierlei Maßnahmen erreicht: Die dunkle Saison ist zeitlich auszusitzen und es wird der Preis für die nächsten glücklichen Monate bezahlt.

Der Roman wird in erster Linie anhand Luanas Familie erzählt. Dazu wechseln die Perspektiven zwischen Luana selbst, ihrem Ehemann Ralph, der Teenager-Tochter Kaila und dem kleineren Sohn Django. Durch deren Blick lernt man die Nachbarn kennen, welche allesamt eine Ausgeburt höllischer Glückseligkeit sind, erfährt mehr über den Pakt und verirrt sich ab und an in einen dunklen Wald, der voll unheimlicher Geschichten steckt.

Es beginnt mit der Saison, wie der düstere Monat des Jahres von den Bird-Street-Bewohnern bezeichnet wird. Halloween wird gefeiert, Familienbräuche werden praktiziert, es wird gut gegessen und der positiven Ereignisse des bisherigen Jahres gedacht. Alles geschieht im Bewusstsein, dass sich mit ersten November ein schwermütiges Getriebe in Gang setzt: Dunkle Gedanken, zwanghafte Befürchtungen und beängstigende Vorstellungen treiben bedrückendste Trostlosigkeit an.

Der Autor beschreibt die Gedankenwelt der Figuren ausgezeichnet. Genauso empfindet man, wenn man in ein elendiges Stimmungsrad gerät und sich das Leben als pessimistische Schattenseite zeigt. 

Es erscheint sinnlos, sich überhaupt Mühe zu geben, wobei jeder melancholische Gedanke pures Gift für die eigene Existenz in sich trägt. Die düstere Spirale dreht sich weiter, immer weiter und weiter. Eine trübe Idee treibt die nächste an, bis man doch noch irgendwann die Abfahrt bemerkt, um von der selbstzerstörerischen Straße der gefühlten Sinn- und Hoffnungslosigkeit abzukommen.

Damit allein ist noch kein packender Horror-Roman gefüllt. Der Autor nimmt den Vertragspartner der Hölle zur Hand und gibt ihm sozusagen die Bird Street zum Spielen. Wohl durchdacht und überlegt fängt daher mit November der Horror für alle Beteiligten an. 

„Wir leben in einer Spukgeschichte, hast du das noch nicht bemerkt?“ (S. 348, eBook)

Hierfür haut Thomas Olde Heuvelt in die Tasten und wühlt mit jedem Anschlag ein facettenreiches Ensemble genialster Horror-Elemente auf. Die intensive Melodie ist von subtilem Grauen und beängstigender Dichte geprägt: Spiegel, die viel mehr zeigen als man sehen will, ruhelose Geschöpfe, die sich aus der Dunkelheit der Erde wühlen, verschlagene Menschen und abstoßende Intrigen, deren Ausgeburten in einer mitreißenden Kakophonie durch die Straße hallen. 

Mit dem Ohrwurm des Teufels versehen, steht die gesellschaftskritische Frage im Raum, wie viel Glück man erträgt, wenn es auf Kosten von anderen geht?

Die Handlung ist mitreißend beschrieben, subtil und meisterhaft durchdacht. Sie ist facettenreich und voll überraschender, grauenhafter sowie nachdenklich stimmender Wendungen, die mancher Moment wahren Horrors zu einem Paukenschlag als Ende führt.

Ein weiteres Mal hat mir Thomas Olde Heuvelt bewiesen, dass er sich mit packender Atmosphäre, einem eindringlichen Erzählstil und seiner genialen Art Horror zu kreieren zum Maestro des Genres erhebt. Ich hoffe inständig, dass es viel mehr solcher Romane von ihm zu lesen geben wird.