Rezension

Blueberry dream

Der Sommer der Blaubeeren - Mary Simses

Der Sommer der Blaubeeren
von Mary Simses

Bewertet mit 4 Sternen

"Es war ein altes Haus, und es war hübsch. Aber das war alles. Was auch immer ich zu sehen oder zu spüren erwartet hatte, war nicht hier. Welchen Einblick in das Leben meiner Großmutter ich hier auch hatte erhaschen wollen, er hatte keine konkrete Form angenommen."

Zitat, Seite 145

 

Ellen Branford, Großstadtpflanze und erfolgreiche Anwältin aus New York steht kurz vor ihrer Hochzeit mit dem aufstrebenden Politiker Hayden Croft. Der letzte Wunsch ihrer Großmutter, die persönliche Übergabe eines scheinbar wichtigen Briefes, schickt sie in den kleinen abgelegenen Küstenort namens Beacon, in dem ihr ihr vertrauter New Yorker Luxus verwehrt bleibt.

Die Reise nach Maine, für die sie aufgrund der Hochzeitsvorbereitungen und ihren beruflichen Pflichten eigentlich gar keine Zeit hat, und die sie nur ihrer Großmutter zuliebe auf sich nimmt, birgt für Ellen jedoch mehr Entdeckungen und Überraschungen in sich, als sie je vermutet hätte. Denn neben den unbekannten Talenten ihrer Großmutter und den Ereignissen aus deren Vergangenheit, entdeckt Ellen plötzlich auch einen persönlichen Bezug zur Natur, den kulinarischen Köstlichkeiten des Ortes und den bis dato verborgenen Sehnsüchten im Inneren ihres Herzens.

Durch das von ihrer Großmutter geförderte Feingefühl fürs Fotografieren lernt Ellen den kleinen Küstenort und seine Bewohner von einer ganz anderen Seite kennen. Plötzlich merkt sie, dass es nicht die Größe eines Ortes oder der vertraute Luxus ist, der das Leben wirklich lebenswert macht.

Es scheint fast so, als könnte der letzte Wunsch ihrer Großmutter ihrem eigenen Leben eine vollkommen neue Richtung aufzeigen.

“Ich streckte die Hand aus und strich über die Adern eines großen grünen Blattes. Die Farbe warm und kühl zugleich, rau und glatt. Das Blatt schien unter meiner Berührung zum Leben zu erwachen. Ich konnte seine Energie fast körperlich spüren."

Zitat, Seite 147

Anfangs erschienen mir die beschriebenen Szenen etwas zu oberflächlich und kitschig, als dass ich sie mir als Teil einer wirklich tiefgründigen Geschichte hätte vorstellen können. Doch mit den Seiten wuchs die anfängliche Oberflächlichkeit zu einer liebevollen Entdeckungsreise mit weit mehr Tiefe und Charme als ich gedacht hätte. Simses entwickelte mit den Zeilen ein Gefühl für warme und lebendige Beschreibungen, die malerische Landschaften und Momentaufnahmen aus dem Leben von Ellens Großmutter lebendig werden ließen. Aus dem nüchternen Grund, einen Brief ihrer Großmutter an einen gewissen Chet Cummings zu übergeben, entwickelt sich für Ellen ein sehr emotionaler Roadtrip durch Maine.

Die Botschaft, die Simses in ihrem Roman vermitteln möchte, scheint klar. Der Blick auf die Dinge ist entscheidend. Was zählt ist nicht das, was scheint, sondern vielmehr das, was sich hinter dem Offensichtlichen verbirgt. Nur wer genau hinsieht, kann sich am wahren Glück erfreuen.

“So ist es, und wenn du weiter hinsiehst, dann siehst du immer noch mehr und mehr. Das bedeutet es, ein Beobachter zu sein, Ellen. Da ist immer mehr, als man denkt."

Zitat, Seite 297

Mit Ellens Entwicklung während ihrem Aufenthalt in Beacon führt Simses den Leser langsam aber sicher an die Bedeutung der kleinen Dinge heran. Sie lässt uns hinter die Fassade blicken und ein Gespür für die kleinen Besonderheiten des Lebens entwickeln.

Durch die Begegnung mit Roy, dem Neffen von Chet Cummings, beginnt für Ellen eine liebevolle und durchaus amüsante Dreiecksgeschichte, die ihr Liebesleben und ihre Gefühle gehörig durcheinander wirbelt. Die heimliche Schwärmerei für das scheinbar grobe Landei lässt Ellen ihre Prinzipien von Grund auf überdenken und sie ihre strukturierten Gewohnheiten über Bord werfen.

Insgesamt habe ich Simses Ausflug nach Maine auch nach anfänglichen Bedenken sehr genossen. Die liebevolle Aufmachung des Buches ist dem Verlag bestens gelungen. Vor allem das in den Buchdeckel abgedruckte Blaubeer-Muffin-Rezept werde ich in absehbarer Zukunft näher in Anschein nehmen.

“Etwas in mir schien sich langsam zu lösen. Ich konnte spüren, dass es sich entwirrte wie ein Seil, Strang für Strang. Ich betrachtete das Spiegelbild von mir und meiner Mutter, wie Generationen von Branford-Frauen, verbunden durch so viele Dinge. Dennoch war da Raum für mich, anders zu sein."

Zitat, Seite 392