Rezension

Blutbuchenmadness

Blutbuch -

Blutbuch
von Kim de l'Horizon

Bewertet mit 4 Sternen

Kim De L'Horizon setzt sich in diesem mit dem deutschen Buchpreis 2022 ausgezeichneten Roman mit Kindheit, Sexualität, dem Schreiben und seiner Familie auseinander. Vom gespaltenen Verhältnis zur mittlerweile dementen Großmutter – oder Großmeer in Schweizerdeutschen – geht es thematisch vom weder Mann noch Frau sein über die Geschichte der Blutbuchen bis hin zu der Vergangenheit der Frauen der Familie.

De L'Horizon gendert phantastisch, schreibt extrem reflektiert und schafft einen Spagat zwischen den schönsten Formulierungen, die ich seit langem gelesen habe und manchmal derb-prvokanten Sexszenen ohne im geringsten unglaubwürdig zu wirken. Ich mochte viele Gedanken aus diesem Roman, ich mochte die abwechslungsreiche, mal rührende, mal traurige, mal witzige, mal moderne, mal derbe, mal traumschöne Sprache und die Art, wie Sprachregeln aufgebrochen werden, Worte gefunden werden für schwer sagbares und wie Neues erschaffen wird aus einem alten Dialekt.

Womit ich mich hingegen etwas schwer getan habe war, dass der Roman zwar ein perfekt gesetztes Thema hat, aber keine normale Romanhandlung. De L'Horizon reflektiert und erinnert sich, spinnt Sprachfäden und recherchiert und das alles war irgendwie sehr „viel“. „Blutbuch“ lässt sich nicht schnell nebenbei lesen, es braucht Zeit und Konzentration. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen aber in Verbindung mit der fehlenden klassischen Romanhandlung a la „Was passiert als nächstes?“, „Was macht Figur X?“, „Wie geht es Figur Y“ war es mitunter ein wenig anstrengend zu lesen.

Ich habe mir schon lange nicht mehr so viel angestrichen in einem Roman und wenn ich mir meine markierten Stellen so anschaue gerate ich absolut ins Schwärmen von so viel poetischer Kraft, von so treffenden Wortspielereien, so viel Wahrheit und Schönheit und Melancholie. Aber ich will auch nicht verschweigen, dass dieser Roman eine Aufgabe ist. Er ist anstrengend. Er ist zerfasert und er ist eine Suche, der bestimmt nicht jeder folgen will.

Ich möchte meine Rezension mit ein paar Zitaten beende, die hoffentlich einen kleinen Eindruck vom Ton Kim De L'Horizons geben und – je nach Leser – Lust machen auf dieses Buch oder präventiv abschrecken:

 

"Ich habe diesen Text schon zigmal angefangen, ich habe Plots konstruiert, bis mir übel wurde. Aber das geht nicht, diese Ploterei, vorgetrampelte Pfade im Sand. Der Weg muss im Gehen entstehen."

 

„Ich spürte die Dinge, ohne sie zu verstehen. Ich spürte, dass die Truckli innere Räume der Grossmeer waren, die sie ausgelagert hatte. […] Die Grossmeer trat freundlich auf aber es galt, ihren grossen Schatz unter keinen Umständen anzufassen. >>Eines Tages wirst du alles erben<<, sagt sie, und das war stets eine Drohung.“

 

„Ich aber bin noch immer nichts Festes. Bin eine Sandbank, tarne mich als Insel. Die Gezeiten tragen mich ab, die Ebbe zieht mich fort, löst mich. Die Flut schwemmt Neues an.“

 

„Wie unglaublich sanft und lebendig sich ein penetrierter Arsch anfühlt. Als wäre mensch ganz aus Seide gezimmert.“

 

"Krallt euch an euren nachhaltig produzierten Eames-Chair-Imitationen fest, Freund*innen der zeitgenössischen Zeit, Auftritt Wiepking, ein weiterer weepender King eines weiteren ertrunken Königreichs. Aber wir wissen ja: Was ertrunken ist wird immer irgendwo angeschwemmt. Und was angeschwemmt wird, ist immer - read my lips: IMMER - unschön." 

 

„I wanted to write about you, Grandma, because your life is inside of me. And it will die when I die. I am your end. But I won't let you die. Cuz this is textile magic: weaving presence from absence.“

Kommentare

wandagreen kommentierte am 17. November 2022 um 19:16

Vielen Dank für die Zitate, sie runden deine Rezension ab.