Rezension

Darktown: Ein Blick in die dunklen Abgründe der amerikanischen Geschichte

Darktown - Thomas Mullen

Darktown
von Thomas Mullen

Stephen King sagt über Mullens Roman »Eine brillante Mischung aus Krimi und historischem Roman.« Letzteres ist ohne Zweifel nicht von der Hand zu weisen. Bei Ersterem handelt es sich eher um einen (Anti)Kriminalroman in der "Das Versprechen"-Manier eines Dürrenmatts, bei dem das Verbrechen weit hinter dem gesellschaftskritischen Blick zurückbleibt.

Es ist abzuwägen, ob "wahre" Krimi-Fans wirkliche Freude an diesem Roman haben würden. Dabei ist der Ausgangspunkt gar nicht schlecht: Engagierte Polizisten einer neuen Einheit, eine tote, junge Frau und gefühlt ein ganzes Department korrupter Polizisten. Was will man mehr? Gewürzt wird das Ganze durch das Setting - Atlanta 1948, tiefstes Südstaaten-Flair, Rassismus und Gewalt, wohin das Auge reicht, das Recht und die Rechte der Farbigen bleiben tagtäglich an der Grenze zu Darktown, dem Stadtteil der farbigen Bevölkerung, zurück, das Stadtbild ist geprägt von Prostitution, Alkoholschmuggel und Polizeiübergriffen. Dies, Mullens Stil, ja besonders der Einstieg in die Handlung erinnern einen nicht zu knapp an Hardboiled-Krimis oder den Film noir. Als Leser kann man sich die dunklen Gassen und Straßen bildlich vorstellen. Aber damit endet dieses Genre dann eigentlich auch. Denn kaum eine Figur des Romans interessiert sich wirklich für den Fall, die weißen sowieso nicht und die farbigen Polizisten werden daran gehindert (zumal sie eigentlich nicht ermitteln dürften) - aber auch bei ihnen fragt man sich irgendwann: Geht es euch wirklich nur um das Mädchen?

Verlässt man jedoch erst einmal die Ebene des Kriminalromans - denn wirklich, der Fall spielt schlichtweg eine sekundäre Rolle - und konzentriert sich auf das, was den Roman eigentlich ausmacht und seine große Stärke ist, dann fesselt er einen bis fast zum Schluss (der hat leider deutliche Schwächen, auch oder gerade weil er dann versucht das einmal begonnene Genre des Krimi wieder aufzufangen). Es geht hier nicht so sehr um das was und wie des Falles, sondern um das wie im gesellschaftlichen Kontext: Wie und werden es diese jungen Männer überhaupt schaffen, allen Hindernissen zu trotzen?  
Der Roman ist eine Sozialstudie, ein Blick in Amerikas Vergangenheit und damit gleichzeitig eine Vergegenwärtigung der Gegenwart, auch in Bezug auf die sozialen und kulturellen Konflikte Europas. Dabei mögen die Figuren einige Schwächen aufweisen, die Handlung sich wie unter der erdrückenden Hitze des Südstaatensommers eher dahin schleppen und die Dinge manchmal allzu sehr schwarz und weiß gezeichnet sein, und dennoch zieht er einen in seinen Bann. Als Leser hat man das Gefühl, einen authentischen Eindruck der Zeit zu gewinnen und davon, wie langsam und mit welchen Schwierigkeiten dort die dringend notwendigen Veränderungen für die farbige Gemeinschaft umgesetzt werden konnten. Man kommt aus dem innerlichen Schreien nicht mehr heraus, man würde man liebsten in die Handlung eingreifen und entweder den farbigen Polizisten beistehen oder die weißen ordentlich durchschütteln wollen. Und dort liegt meines Erachtens der Wert dieses Romans begründet, dort hat er mich abgeholt. Das ist sicherlich nicht für jedermann etwas, aber für all jene, die sich mehr von einem Gefühl, einer Atmosphäre begeistern lassen, den kann ich diesen Roman nur wärmstens empfehlen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 09. Dezember 2018 um 08:46

Eine sehr gute Rezension, gut auf den Punkt gebracht! Und toll in Worte gefasst, was ich fühlte, ahnte, aber nicht präzise zu formulieren vermochte!! (Nur die Bepunktung fehlt zu meinen vollkommenen Rezileseglück).