Rezension

Das wilde Leben einer mutigen Nonne

Teresa von Ávila - Alois Prinz

Teresa von Ávila
von Alois Prinz

Bewertet mit 5 Sternen

Ich dachte, ich lese ein beschauliches Buch über eine weise Frau, von der man viele schöne Aussprüche kennt ... und finde mich inmitten düsterster Inquisitionsgeschichte wieder. Was für eine Wahnsinns-Frau war das! In einer Welt voller Standesdünkel, in der eine Frau noch nicht einmal in der Bibel lesen durfte, in der jeder, der interessante Abhandlungen über den Glauben schrieb, als Häretiker angeklagt werden konnte, in der es als christlich galt, konvertierte Juden zu diskriminieren, trat diese Frau, die überraschenderweise jüdische Wurzeln hatte, als beherzte Reformerin auf.

Mein erster Eindruck von Teresa als Mädchen ist, dass sie ein sehr freies Kind war. Lesen und Schreiben lernte sie vom Vater. Ha! Und schon wieder bin ich unwissend in die Biographie einer Büchernärrin geraten. Vater Alonso hatte in seiner Bibliothek die geistlichen Werke stehen, die Mutter die Ritter- und Abenteuerromane... und Teresa las heimlich nachts im Bett...

Teresa war eine lebenslustige junge Frau, die nicht etwa aus spiritueller Neigung den Weg ins Kloster wählte, sondern aus praktischen Erwägungen, aber auch schlicht aus Furcht vor all den Höllenqualen, die man ihr so glaubhaft vermittelt hatte. Diese Furcht legte sich allerdings, als sie begann, sich mit mystischen Schriften zu befassen und das Innere Beten für sich zu entdecken, und sie begann, sich durch das innere Beten als Individuum neu wahrzunehmen. Das machte ihr aber auch Angst, und so wandte sie sich zunächst wieder davon ab, suchte Unterschlupf in der Masse. Das aber gelang ihr immer weniger, zu stumpfsinnig waren die Gebetsrituale in ihrem Kloster. Sie war immer mehr überzeugt, dass der Mensch eine "Seele" habe und dass dies der Ort sei, wo Gott den Menschen begegnet. Aber sie war vorsichtig. Zu viele vor ihr waren der Inquisition aufgefallen. Sie fühlte sich manchmal sehr allein, weil sie sich nicht traute, über ihre Erfahrungen mit jemandem zu sprechen.

"Aufmerksamkeit" ist eine von Teresa entdeckte Bedingung für das innere Gebet, das sie aber, aus Furcht vor sozialer Isolierung, zunächst wieder aus den Augen verlor. Der Autor stellt hier der geforderten kontemplativen Aufmerksamkeit unsere heutige "Hyperaufmerksamkeit", kurz "Multitasking", entgegen, die eher schädlich sei. Auch Teresa kannte es gut, sich ablenken zu lassen...

Spannend finde ich Teresas Definition von "Demut": "das aufrichtige Anerkennen, was wir sind". Diese Form von Demut hat nichts mit dem "Krötengang" eines unterdrückten Selbstbewusstseins zu tun. Auch mit dem hatte Teresa bereits reichlich Erfahrung. Man kann sich die Seelenqualen dieser Frau gut ausmalen, die, nachdem sie endlich Mentoren gefunden hatte, mit denen sie, so glaubte sie, über ihre Glaubensentdeckungen sprechen konnte, von diesen aufgeklärt wurde, bei ihr wäre ein böser Geist am Werk. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an die Jesuiten. Die sahen die Sache ganz anders und ermutigten sie, mit dem Inneren Beten fortzufahren. - Überhaupt die Jesuiten! Ein paar lang gehegte Vorurteile in meinem Kopf werden brüchig. Da ist beispielsweise eine junge adlige Witwe, die ihr Haus zu einer Art spirituellem Zentrum für Jesuiten-Treffs öffnet und Teresa dorthin einlädt. Für mich eine für diese Zeit wirklich ungewöhnliche Vorstellung. Aber dann waren es wieder die falschen Berater, die sich Teresa aufdrängten, sie ins Kreuzverhör nahmen und ihr schließlich erklärten, dass ihre Erleuchtungen Teufelswerk wären. Aber diese liebevolle Macht, die sie in ihren Gebeten immer mehr kennenlernte, war so stark, dass sie ihr allmählich mehr glaubte als den mächtigen Männern der Kirche. Und dann - was für eine Dreistigkeit! Eine Frau maßte sich an, ein Kloster als wirklichen Schutzraum zu gründen, in dem betende Frauen ihrer Individualität nicht beraubt werden, in dem sie ein kleines Stück Freiheit und Unabhängigkeit erleben können. Der Orden der Unbeschuhten Karmeliterinnen war geboren. Ávila stand Kopf.

Viele Klostergründungen im ganzen Land sollten folgen. Dabei war es so gut wie unmöglich, als Frau ein Kloster zu gründen. Selbst mit der Genehmigung des Papstes. Zu groß war der Widerstand konservativer Kreise. So musste Teresa, um überhaupt gegen die bösen Zungen eine Chance zu haben, die neuen Konventhäuser heimlich beziehen und die Nachbarschaft vor vollendete Tatsachen stellen... In Toledo war das außergewöhnlich mutig. Einer Stadt, in der die Inquisition sogar den eigenen, volksnahen Erzbischof eingekerkert hatte...

Diese Frau war irgendwann an einem Punkt angelangt, wo sie nichts mehr fürchtete, noch nicht einmal die "heilige" Inquisition. Dabei hätte sie dazu allen Grund gehabt. Ich bin immer wieder überrascht über den psychologischen Scharfblick dieser Frau. Unglaublich auch, wie sie die Nerven behält, als ihre ganze Bewegung der heftigsten Verfolgung ausgesetzt ist: die Beschuhten Karmeliter werden gegenüber den Unbeschuhten handgreiflich, Teresas wichtigste männliche Mitarbeiter, Johannes vom Kreuz und Jeronimo Gracián, werden bedroht, entführt, eingesperrt. In dieser schwierigen Phase wartet sie geduldig ab und ergreift dann die richtige Gelegenheit, vor den König zu ziehen und das Netz aus Lügen und falschen Anschuldigungen zu entlarven.

Alois Prinz bringt in seiner Biographie klar und anschaulich Teresas Lehren auf dem Punkt. Er schafft es jederzeit, präzise zu beschreiben und zu analysieren, ohne in ein vorschnelles Urteilen abzugleiten. Bei heiklen Themen stellt er scharfsinnige Fragen, die zum Weiterdenken anregen. Es gibt nur ganz wenige Stellen, wo es mir nicht behagt, wie der Autor Teresas Gedankengut in einen heute üblichen Duktus überträgt, weil es mir ein wenig überstülpend vorkommt. Grundsätzlich aber empfinde ich ihre geistliche Entwicklung und ihre Lehren als hervorragend beschrieben, mit einem sicheren Gespür für das Wesentliche.

Das Buch endet mit einem wunderbaren Epilog. Den möchte ich hier nicht vorausnehmen. Erwähnt sei nur, dass die Rezensentin den Abschluss ergreifend fand. Und sich bis zum Redaktionsschluss immer noch nicht im Klaren darüber war, welchen Titel sie nun ihrer Rezension geben sollte ("Das wilde Leben einer mutigen Nonne" - "Der konsequente Drang nach Freiheit" - oder vielleicht doch lieber "Eine ungewöhnliche Kämpferin für die Rechte der Frau"?)

Kommentare

wandagreen kommentierte am 12. Dezember 2015 um 09:49

Das zweite sprach mich am meisten an oder auch "Ergriffen von Gottes Liebe";-). Was für eine frische, hübsche und lehrreiche Rezension! Da freut sich das Wandaherz.