Rezension

Delphine de Vigan: Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter - Delphine de Vigan

Das Lächeln meiner Mutter
von Delphine de Vigan

Lucile wächst im Paris der 60er Jahre in einer Großfamilie auf, deren Leben sich auf den ersten Blick nicht besonders vom Geist der Zeit unterscheidet: Liane und Georges führen ein offenes Haus, gehen völlig auf im Leben mit ihren eigenen Kindern und nehmen zudem noch den anfangs etwas verstörten Milo als Pflegesohn auf. Das freie Leben in der Stadt und unbeschwerte Sommer am Meer schaffen ein scheinbar perfektes Idyll.

Doch mit dem Unfalltod des kleinen Sohnes Antonin erhält die Fassade erste Risse, die sich weiter ziehen, als nicht lange danach Tom geboren wird – Diagnose Down-Syndrom. Die Eltern beginnen, sich in ihrem Schmerz zurückzuziehen, die Geschwister verarbeiten das Geschehene je nach Charakter unterschiedlich: Lucile als Älteste leidet am meisten unter der Rückzugshaltung der Mutter. Viele Jahre später, inzwischen selbst Mutter einer erwachsenen Tochter, nimmt sie sich das Leben.

In Das Lächeln meiner Mutter zeichnet Delphine ein Bild vom Leben ihrer Mutter Lucile, das sie sich in vielen Gesprächen mit Geschwistern und Weggefährten der Mutter erschafft und in dem sie letztlich auch die Parallelen zwischen deren Mutter-Tochter-Konflikt und ihrem eigenen aufzeigt.
Nach No und Ich und Ich hatte vergessen, dass ich verwundbar bin ist dies das bislang persönlichste Buch von Delphine de Vigan, das ich gelesen habe. Erst jetzt wird deutlich, dass sie auch in ihren ersten Romanen biographische Elemente hat einfließen lassen, wobei hier immer sowohl eine übergeordnete fiktive Handlung als auch erfundene Charaktere eine Rolle spielen. Auch jetzt erzählt sie diese ausdrücklich autobiographische Geschichte bewusst in der 3. Person und schafft so bei aller Intensität der Erinnerung noch einen gewissen Abstand zum Geschehen. Denn so wichtig der Prozess der Selbstfindung beim Schreiben auch gewesen sein mag, so schmerzlich muss auch die Aufarbeitung der Vergangenheit für de Vigan gewesen sein, ist es der Tochter zeitlebens doch nie wirklich gelungen, sich der verehrten Mutter wirklich anzunähern. Auch nach deren Tod bleibt immer noch ein Rest dieser Unnahbarkeit bestehen.

Eine großartige Charakter- wie Gesellschaftsstudie, spannend, unterhaltsam und bewegend!