Rezension

Der Bruder...

Löwenherz -

Löwenherz
von Monika Helfer

Bewertet mit 4 Sternen

Der 3.Teil der Familiengeschichte befasst sich mit dem Bruder der Autorin - ein fragmentarisch anmutender Roman, leise, melancholisch, zart.

Monika Helfer erinnert sich an ihren Bruder Richard. Seit dem Tod der Mutter wachsen sie und ihre Schwestern getrennt vom kleinen Bruder auf. Sie sehen sich selten, verlieren die Verbindung. Es ist die Zeit des Deutschen Herbstes. Richard ist da bereits ein junger Mann, von Beruf Schriftsetzer. Er ist ein Sonderling, das Leben scheint ihm wenig wichtig. Verantwortung übernimmt er nur, wenn sie ihm angetragen wird. So auch, als ihm auf merkwürdige Weise eine verflossene Liebe ein Kind überlässt, von dem er nur den Spitznamen kennt. Die unfreiwillige Vaterrolle gibt ihm neuen Halt, zumindest für eine Zeit. Ein inniges Portrait, eine Geschichte über Fürsorge, Schuldgefühle und Familienbande. (Klappentext)

Auch in diesem Roman beschäftigt sich Monika Helfer mit ihrer eigenen Familiengeschichte. Während "Die Bagage" die Großeltern mütterlicherseits in den Fokus nahm, und "Vati" die Eltern der Autorin mit Schwerpunkt auf dem Vater beleuchtete, wendet sich dieser dritte Band nun dem Bruder zu. Dem einzigen Bruder, dem Lieblingskind des Vaters, Richard, vom Vater liebevoll Löwenherz genannt.

 

„Er hat“, sagt Michael, „nicht besonders gern gelebt.“

 

Früh schon verrät der Roman, dass sich Richard mit 30 das Leben nahm, und Monika Helfer bemüht sich, diesem Mann, dem nichts wichtig schien, nachzuspüren. So erzählt sie von dessen früher Kindheit, als sie alle noch eine Familie waren, und die beiden älteren Schwestern häufig auf den kleinen Bub aufpassten. Nach dem Tod der Mutter der seelische Absturz des Vaters mit dem Gang ins Kloster, die Kinder aufgeteilt auf verschiedene Tanten. Jahrelang so gut wie kein Kontakt, erst als Erwachsene gehen sie wieder aufeinander zu, Monika, die Autorin, oftmals mit dem Gefühl, sich kümmern zu müssen.

Richard lässt sich nicht in einfachen Worten beschreiben, er lebte in seiner eigenen Welt. Anerkannt als Schriftsetzer lebte er ansonsten sein Leben in den Tag hinein, geleitet von seinen ureigenen Bedürfnissen. Er war ein versponnener, dabei liebenswerter Kerl, der in seinem eigenen Universum lebte und sich um gesellschaftliche Normen und Konventionen nicht groß scherte. Häufig träumte er sich in ein anderes Leben, inspiriert durch Bücher und Filme. Selbst durch die Schilderungen der Autorin erscheint Richard nicht wirklich fassbar. Interessanterweise kann der zweite Ehemann von Monika Helfer oft mehr zu Richards Charakterbeschreibung beisteuern als sie selbst, denn er war mit ihrem Bruder eng befreundet und hat so häufig mehr mitbekommen als sie.

Als ihm eine Frau ihr Kind in Obhut gibt, erst einmal für wenige Wochen, später für mehrere Monate, verändert sich Richard. Ihm ist dieses Kind wichtig, Putzi, ein kleines Mädchen, dessen wirklichen Namen er nicht kennt, und die ihn rasch "Papa" nennt. Zum ersten Mal übernimmt Richard so für etwas Verantwortung und sorgt sich, ein Zug, den seine Schwester so noch nicht an ihm beobachtet hat. Als die Mutter schließlich ihr Kind zurückfordert, bewegt sich alles auf das tragische Ende zu...

Spröde ist der Schreibstil, oft wenig emotional, fast kühl, dann wieder leise, melancholisch, zart. Dieser Roman stellt erneut einen fragmentarisch anmutenden Versuch dar, sich einer Person zu nähern, die zeitlebens unnahbar blieb. Ob Richard wirklich erkannt werden wollte? Mir blieb er hier fremd, aber für die Autorin schließt sich mit diesem dritten Band ihrer Familiengeschichte nun ein Reigen.

 

© Parden