Rezension

Der Widerstand des kleinen Mannes

Mein Vater, der Deserteur - René Freund

Mein Vater, der Deserteur
von René Freund

 

„Wo sind die Deserteure? … Haben sie Angst vor den ihnen eingeimpften Phrasen, die Fahneneid, Vaterland, Kameradschaft heißen?“ So äußerte sich Heinrich Böll im Jahre 1953, acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es war schwierig für einen Fahnenflüchtigen zu bekennen, dass er desertiert war; denn es gab noch immer genug Menschen, die Wehrmachtsdeserteure als „Verräter“ bezeichneten.

 

Einer der ca. 350 000 bis 400 000 Fahnenflüchtigen des zweiten Weltkriegs war Gerhard Freund aus Wien. Als 18-jähriger 1943 eingezogen, verließ er im August 1944 in Paris zusammen mit einem älteren Kameraden die Truppe. Paris befand sich in Auflösung, in der Normandie begann die Invasion der Alliierten  -  der Krieg ging in die Endphase.

 

Freunds Sohn René ist den Spuren seines Vaters lange nach dessen Tod gefolgt. Fragen nach dem Warum und dem Wie der Desertion, dem Wiederfußfassen und dem Leben nach dem Krieg beschäftigen ihn. Auf einer Frankreichreise mit seiner Familie besucht er die von seinem Vater beschriebenen Ortschaften, versucht sich in dessen Situation hinein zu versetzen.

Da Gerhard Freunds Tagebuchnotizen  eher spärlich sind, arbeitet der Sohn zusätzlich anhand von geschichtlichen Details, Berichten und Interviews mit Zeitzeugen die Vergangenheit auf und macht Hintergründe verständlich. So sucht er für sich und den Leser nach Antworten und Verstehen.

Aufzeichnungen aus dem Jahr 1944 wechseln sich mit Berichten aus der Gegenwart ab. So entsteht langsam ein Bild von Gerhard Freund und seinen Familienangehörigen.

 

Sachlich und informativ auf der einen, empathisch und sehr persönlich auf der anderen Seite, zeigt das Buch wieder einmal ganz deutlich, wie eng die private Familiengeschichte mit Weltgeschichte verbunden ist, wie sehr die jeweiligen Bedingungen in unser Leben eingreifen und es (mit-)bestimmen.

Mitbestimmen, ob er in den Krieg ziehen wollte oder nicht, konnte niemand im zweiten Weltkrieg. Wer den „Widerstand des kleinen Mannes“ (Reimar Gilsenbach) probte, musste damit rechnen, mit dem Tod bestraft zu werden.

Die Diskussion um Desertion und Wehrdienstverweigerung ist auch heute noch kontrovers und emotionsgeladen. Kein Wunder, dass erst 2002  das „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile  in der Strafrechtspflege“ in Kraft trat, das Deserteure des Dritten Reiches rehabilitierte.

René Freund hat hier ein anspruchsvolles Buch geschrieben, das zum Nach- und

Weiterdenken anregt.