Rezension

Die geerbte Sprachlosigkeit

Ruh -

Ruh
von Şehnaz Dost

Bewertet mit 4 Sternen

Cemal trifft Georg jetzt regelmäßiger. Für Cemal ist es ein überraschendes und stilles Begehren. Georg ist tiefenentspannt und selbstbewusst, Cemal nachdenklich und unsicher. Ihre Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Georg hat ein gutes Verhältnis zu seinem Stiefvater und nächert sich seinem Vater allmählich an. Cemal wuchs bei seinen Großeltern in der Türkei auf und kam mit acht nach Deutschland, zu Eltern, die ihm fremd waren. In Cemals Familie wurde nicht viel gesprochen. Es wurde ja so viel gearbeitet und man war müde wenn man nach Hause kam. Cemal fürchtete sich davor, diesem namenlosen Schweigen zu begegnen. Wechselten die Eltern mehr als zwei Sätze, dann um einen Streit auszufechten. Cemal konzentrierte sich auf sein größtes Hobby, die Musik. 

Vor einigen Jahren hatte er seine Königin geheiratet, Gül, immer aufrecht. Sie hatte ihm die kleine Ekin geschenkt. Cemal hatte sich mehr Kinder gewünscht aber Gül entschied sich dagegen. Auch sonst waren sie sehr unterschiedlich, deshalb zog Cemal aus. Jetzt zelebriert er die Wochenenden an denen ihn seine Prinzessin besucht so intensiv, wie er kann. Neulich hatte Georg ihm Fragen zu seiner Familie gestellt und Cemal damit so in Bedrängnis gebracht, dass der sich nicht mehr bei ihm meldet. Ganz langsam wird Cemal klar, dass sein Schweigen ihm zunehmend Probleme bereitet.

Sein Sprechen scheint sich einfach aus seinem Epigenom herausgeschrieben zu haben. Wo doch bereits seine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und deren Eltern nicht zum Sprechen erzogen worden waren. S. 171

Und als der äußere Druck zunimmt erscheint ihm seine Urgroßmutter Süveyde im Schlaf, schaut in sein Bewusstsein und schickt ihm die Erinnerungsbilder, die er braucht, um zu verstehen. 

Fazit: Die Geschichte dreht sich um Sprachlosigkeit und Trennung.

Wortlos gehen und in der Wortlosigkeit zu bleiben. S. 171

Um Rollenbilder und traditionelle Vorstellungen, die sich nicht erweichen lassen. Sehnaz Dost zeigt, wie Generationen miteinander verflochten sind und die Schwierigkeiten, trotz dieses Erbes, integer und selbstbestimmt zu werden. Ich mochte das Erzählen von Cemals Alltag und habe seinen Umgang mit seiner Tochter geliebt. Mit welcher Sensibilität er ihre Launen erkannt hat. Die Autorin benutzt einige schöne Sprachbilder, dennoch habe ich die orientalische Melodie, die ich aus anderen gelungenen Geschichten, speziell über das Türkischsein gelesen habe, vermisst.