Rezension

Die langen Schatten der Vergangenheit

Dunkelblum -

Dunkelblum
von Eva Menasse

Bewertet mit 5 Sternen

Die österreichische Kleinstadt Dunkelblum an der Grenze zu Ungarn im Sommer 1989: Auf den ersten Blick ist es nicht ersichtlich, aber ein furchtbares Verbrechen verbindet die älteren Einwohner des Ortes. Bisher haben sie darüber den Mantel des Schweigens gelegt. Doch jetzt, während gleich hinter der Grenze Hunderte Flüchtlinge aus der DDR warten, taucht ein rätselhafter Fremder in der Kleinstadt auf und setzt mit seinen Fragen einiges in Gang. Auf einer Wiese wird ein Skelett gefunden, eine junge Frau verschwindet. Die langen Schatten der Vergangenheit holen die Einwohner ein…

„Dunkelblum“ ist ein Roman von Eva Menasse.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen, die wiederum in jeweils 17 Kapitel mit einer angenehmen Länge untergliedert sind. Erzählt wird aus einer auktorialen Perspektive, die sich hervorragend für diese Art von Geschichte eignet.

Atmosphärisch stark ist der Schreibstil des Romans. In sprachlicher Hinsicht beweist die Autorin ihr schriftstellerisches Talent. Jeder Satz sitzt, jedes Wort wirkt wohl bedacht. So ist beispielsweise der Ortsname nicht zufällig gewählt. Etwas schwer habe ich mich allerdings mit dem österreichischen Vokabular getan. Zwar gibt es ein Glossar der Austriazismen. Das Hin- und Herblättern ist jedoch ein wenig nervig. Mit der Zeit gewöhnt man sich beim Lesen an die entsprechenden Wörter.

Die Handlung spielt sich überwiegend in der Kleinstadt und der näheren Umgebung ab. Auf den Innenklappen ist ein beschrifteter Ortsplan von Dunkelblum abgedruckt. Dieses sinnvolle Extra hilft bei der Orientierung.

Die Charaktere sind mit viel psychologischer Tiefe ausgestaltet. Fast jeder scheint ein Geheimnis zu haben, was die Figuren interessant macht. Dennoch wirken die Charaktere nicht überzeichnet, sondern durchaus authentisch. Vor allem zu Beginn ist das umfangreiche Personal des Romans recht unübersichtlich. Um besser in die Geschichte zu kommen, hätte ich mir eine Personenliste gewünscht. Mit der Zeit legt sich aber die Verwirrung.

Inhaltlich ist der Roman erstaunlich komplex und facettenreich. Sehr gekonnt hat die Autorin ein beeindruckendes Netz aus Verbindungen geflochten, in dem sie sich bis zum Schluss nicht verheddert. Fast alle losen Fäden sind am Ende miteinander verknüpft. Eins fügt sich schlüssig zum anderen. Zwar bleiben noch einige wenige offene Fragen. Dass der Roman aber damit Interpretationsspielraum lässt, passt nach meiner Ansicht sehr gut zu der Geschichte. 

Thematisch geht es vor allem um Kriegsverbrechen und Vergehen während der Naziherrschaft, über die die Einwohner von Dunkelblum schweigen. Dort leben sowohl Opfer als auch Täter. Hintergrund des Romans ist eine wahre Begebenheit: das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern im Ort Rechnitz. Ein wichtiges Sujet, das dafür sorgt, dass das Buch noch länger bei mir nachhallen wird. 

Obwohl dies zunächst nach ernster, schwerer Kost klingt, gelingt es der Autorin, mit bissigem Humor ein wenig Leichtigkeit in den Roman zu bringen und ein besonderes Lesevergnügen zu schaffen. Auf den rund 500 Seiten entstehen kaum Längen. Die Geschichte hat mich zunehmend für sich eingenommen.

Das kunstvolle Cover ist etwas nichtssagend, aber nicht unpassend. Der prägnante und naheliegende Titel gefällt mir.

Mein Fazit:
Auch wenn es Eva Menasse ihren Leserinnen und Lesern nicht ganz einfach macht, ist ihr Roman „Dunkelblum“ unbedingt lesenswert. Eine ausgeklügelte, vielschichtige und sprachgewaltige Lektüre, ein Lesehighlight 2021.