Rezension

Vergangen, vergessen - wieder auferstanden.

Dunkelblum -

Dunkelblum
von Eva Menasse

Bewertet mit 5 Sternen

Dunkelblum ist eine kleine, österreichische Stadt an der Grenze zu Ungarn und wir schreiben das Schicksalsjahr 1989. Es könnte ein idyllischer Sommer sein, doch Unruhe macht sich breit. Nicht nur der Besucher, der aufgetaucht ist und Fragen stellt, oder die Studenten aus dem fernen Wien, die unaufgefordert beginnen den verwilderten jüdischen Friedhof freizulegen, sondern auch ein schwelendes Wasserbauprojekt, dass dem Interimsbürgermeister Ärger mit den Großbauern einbringt, lassen das Herannahen eines geschichtlichen Großereignisses in den Hintergrund treten. Hinter der Grenze sammeln sich DDR-Flüchtlinge und wollen über Österreich in die BRD.

Flüchtlinge? Ja, mit Flüchtlingen hatte man es schon mal zu tun, damals, als das Österreich-Ungarische Reich zerplatzte und die Menschen sich entscheiden mussten, auf welche Seite sie gehörten. Darüber sprechen die Alten in Dunkelblum noch und denken mit Wehmut an das Schloss, dass ihre Stadt einst zierte und sie mit Bedeutung füllte. Aber alles was danach kam, warum das Schloss abbrannte, dass es nicht nur Flüchtende, sondern auch Zwangsarbeiter gab, die den Verteidigungswall gegen die Russen bauen sollten, daran wollen sie nicht erinnert werden. Jeder hat da so seine eigene Wahrheit, aber vor allem seine eigenen Geheimnisse, wie sie ihre Geschicke gelenkt haben, oder ihnen der Zufall wohlgesonnen war, wenn das von jüdischen Besitzern eiligts verlassene Hotel in den eigenen Besitz überging, einfach so.

Aber nun wird an allen Ecken gerüttelt und der Streit mit der Wasserbehörde verlangt nach einer Erklärung, warum man nicht die eigenen Wiesen aufbuddeln sollte. Immerhin wird eine Leiche gefunden, unvollständig. Die fehlenden Puzzleteile tauchen in den Dunkelblumer Stuben auf, dafür gibt es andere Stücke, die der Leiche eine flasche Identität geben. Warum?

Eva Menasse erschafft mit ihrem Roman Dunkelblum ein Kaleidoskop einer Stadt, die nur den äußeren Anschein der Verschlafenheit erweckt. Sie lässt jeden einzelnen Dunkelblumer antreten und sich in die Angelegenheiten verstricken, die sich alle zur gleichen Zeit kumulieren. Der eine versucht seine Vergangenheit zu finden, andere tappen ahnungslos in den Sumpf einer Geschichtsdokumentation über die Stadt, wieder andere legen Grabmäler frei, die sogleich beschmiert werden und die latente Gesinnung der Mitbürger offenbaren. Und dann verschwindet auch noch ein junges Mädchen.

Eva Menasse trägt mit ihrem atmosphärisch dichten Roman zur Erinnerungskultur unserer Nachbarn bei und erzählt eine, in ihren Grundzügen wahren Geschichte von der Suche nach Massengräbern von Zwangsarbeitern, die man aushalten muss, mit der man sich aber auch versöhnen kann, weil endlich erzählt wird, was lange tabu war. Weil vieles, was in Dunkelblum geschah, so, oder so ähnlich, tausendfach geschah und niemand mit dem Finger auf andere zeigen kann. Und man hält es aus, weil Menasse eine talentierte Erzählerin ist, die keinen ihrer Protagonisten vergisst, keine Handlung versanden lässt und kleine Überraschungen für den aufmerksamen Leser im Text bereithält. Sie hat mich mit ihrer Schreibkunst überzeugt und ist in meinen persönlichen Olymp der Lieblingsschriftsteller aufgestiegen.