Rezension

Die Lebensgeschichte des älteren Bruders

Der versperrte Weg -

Der versperrte Weg
von Georges-Arthur Goldschmidt

Erichs Welt wird auf den Kopf gestellt: Als behüteter Nachzügler ist er 1924 in ein gutbürgerliches Haus hineingeboren, doch als er vier Jahre alt ist, wird überraschend noch ein kleiner Bruder geboren, der mit seinem Gebrüll die Aufmerksamkeit der Eltern fordert. Erich liebt Ordnung, er bewundert die Erzeugnisse der deutschen Technik, und zu gern wäre er bei der neuen Jugendgruppe dabei. Doch mit einem Mal soll er nicht mehr dazugehören, wird hinter der Hand von Juden gesprochen, wo er doch deutsch bis ins Mark ist und auch evangelisch getauft. Die Eltern erkennen die Gefährdung und senden die beiden Söhne ins Ausland, zunächst nach Italien. Die Brüder müssen weiterfliehen nach Frankreich und dort untertauchen, und der mittlerweile erwachsene Erich schließt sich der Résistance an.

Georges-Arthur Goldschmidt, der jüngere Bruder, der als Jürgen-Arthur geboren wurde, hat viele autobiographische Werke über seine Erlebnisse geschrieben und sich so mit seinen Erfahrungen auseinandergesetzt. Sein Bruder ist einen ganz anderen Weg gegangen. Hier versucht der Autor, dem Leben seines älteren Bruders nachzugehen. Das ist interessant: Es war eine schwierige Zeit und ein bewegter Lebenslauf. Auch vom Schriftstellerischen ist es eine besondere Aufgabe, einen solchen Perspektivwechsel einzugehen.

Mich hat vieles vom Inhalt fasziniert und auch einige Szenen fand ich sehr eindrücklich. Andere konnten mich nicht fesseln: Zu oft sagt der Autor, was Erich fühlt und interpretiert, anstatt es zu zeigen. Die Innenperspektive gelingt nicht immer; vielleicht waren sich die Brüder zu fremd. Dennoch eine interessante Lektüre.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2021.

 

Ein bewegendes literarisches Dokument des Nachfühlens und Nacherzählens eines versperrten Lebensweges.Verbunden durch das gemeinsame Schicksal von Bedrohung, Flucht und Heimatlosigkeit hat der Bruder Erich doch einen ganz anderen Weg als der Autor wählen müssen. Während Georges-Arthur zwischen den Sprachen und mit den Worten ebt, hat der Bruder unter Waffen gelebt. Unter Waffen schweigen die Musen! Er schloss sich der Résistance an, kämpfte mit bei der Befreiung von Paris und des Elsass und war schließlich Major in der französischen Kolonialarmee in Algerien. Dort beteiligte er sich sogar an dem Offiziersputsch gegen de Gaulle, der Algerien in die Unabhängigkeit entließ, und blieb dennoch bis zur Pensionierung Offizier. Danach arbeitete er noch viele Jahre als unauffälliger Mitarbeiter der Crédit Agricole.Über Jahrzehnte im Inneren zurückgehalten, war ein Geburtstagsbrief der Anlass, die verschütteten Erinnerungen an das Leben des Bruders aufsteigen zu lassen.»Sie erfassen den Hauptschatten meines langen Lebens: Mein Bruder war vier, als ich zur Welt kam und durch meine Erscheinung auf dieser Welt habe ich sein Leben zerstört.«