Rezension

Ein Buch vom Leben im Sterben

Arbeit und Struktur - Wolfgang Herrndorf

Arbeit und Struktur
von Wolfgang Herrndorf

Bewertet mit 5 Sternen

Herrndorfs »Arbeit und Struktur« beruht auf einem Blog, der zunächst als »reines Mitteilungsmedium« für seine Freunde gedacht war, sich dann aber zu einem »Text für jeden, der ihn lesen wollte«, entwickelte; was daraus wurde, kann man, »wenn man mag, Literatur nennen« (vgl. Nachwort von Marcus Gärtner und Kathrin Passig, S. 443 f.).

Herrndorf schreibt zu der Zeit nach der Diagnose seines bösartigen Hirntumors im Februar 2010 und bis kurz vor seinem Freitod am 26. August 2013. Man erfährt, wie er sich nach den verschiedenen Diagnosen im Fortgang der Krankheit fühlt, wie er sich über Zeit freut, die ihm gegeben ist, wie er immer wieder Glück empfindet und auch abstürzt. Ein Mittel zu leben sind »Arbeit und Struktur«. Man liest von zwischenzeitlichen Ausfällen des Gedächtnisses, der Sprache, von in den Alltag verwobenen epileptischen Anfällen (die aus solchen Ausfällen bestehen). Er beschreibt, was er zu bestimmten Zeiten noch tun kann (etwa Fußball spielen), wozu er später aufgrund von Wahrnehmungsstörungen oder -ausfällen nicht mehr in der Lage ist. Herrndorfs Humor kommt immer wieder durch, auch im Blick auf seinen Tod. Er schreibt von seinen Freundinnen und Freunden, die mit ihm leben (zu viel Empathie / Grenzüberschreitungen von Seiten anderer kann er nicht ertragen), von Literatur, der Arbeit an seinen Büchern »Sand« und Tschick«, über Religion, Zeitgenossen, seine Weltsicht… Vermutlich wird kaum jemand alle Anspielungen auf Autorinnen und Autoren, auch Bücher, Filme verstehen – bzw. man hat viel nachzuschlagen, wenn man alles verstehen will: Aber man kann dem Buch auch folgen, wenn man nicht jede Anspielung nachvollzieht.

Das Buch ist sehr lesenswert; man erfährt viel über das Denken und Empfinden eines Menschen, der (gegenüber den meisten von uns) in einer Extremsituation – sterbend – lebt. Herrndorf kennt kein Lamentieren, er lebt (und ist lebendig) mit dem Tod. »Arbeit und Struktur«  kann einen zwischendurch stark runterziehn – ob man dieses Buch lesen sollte oder nicht, mag auch von der Gemütsverfassung der/des Lesenden abhängen.