Rezension

Ein Geschenk

Liebe in Zeiten des Hasses -

Liebe in Zeiten des Hasses
von Florian Illies

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch ist ein Geschenk!

Es setzt einer, vielleicht zwei Generationen, wenn man die Älteren bedenkt, von Künstlern, Intellektuellen, Lebemännern und - damen, Sportlern, Widerstandskämpfern und Liebenden ein Denkmal. Es stellt sie jedoch mitnichten auf ein Podest, sondern zeigt sie mit all ihrer Hybris, ihrer Traurigkeit, Fehlbarkeit, ihrer Angst, Leidenschaft, Erbärmlichkeit , ihrer Menschlichkeit.

Am Ende sind selbst die Genialsten dieser Generation zwischen zwei Weltkriegen nur Menschen aus Fleisch und Blut.

Besonders deutlich wird diese Tatsache eben beim Thema „Liebe“.

Florian Illies, der schon mit „1913“ begeisterte, nimmt sich in seinem neuesten Buch „Liebe in den Zeiten des Hasses“ nun das Jahrzehnt zwischen 1929 und 1939 vor.

Wie beim Vorgänger - Buch reiht er Collage- artig Begebenheiten aus dem Arbeits- und Liebesleben der einflussreichsten Künstler und Denker der ausgehenden „Goldenen Zwanzigerjahre“ aneinander, erzeugt damit ungeheure Nähe zu den Beschriebenen und lässt den Leser mit ihnen von den Roaring Twenties in den Abgrund der Nazi- Diktatur gleiten.

Illies schreibt in einer ironisch- beiläufig, augenzwinkernden Art, die teilweise sehr nah an der Schreibweise einiger seiner Protagonisten, wie Kästner oder Tucholsky ist ( Seite 83:

 “Sein eigenes Herz hält Jünger kühl, knapp über null Grad. Seine Frau Gretha kann ein Lied davon singen. Er wird ihr lebenslang die Untreue halten.“), und schafft das Kunststück, je näher wir inhaltlich dem Schicksalsjahr 1939 kommen, desto melancholischer und düsterer zu werden.

Als Leser kann man sich amüsieren, den Kopf schütteln über freizügige Beziehungen, über einen Reigen der Triebe und der Treulosigkeit, über das ewige Bäumchen- wechsle- dich- Spiel. Man begreift aber auch,dass dieser große Drang nach Freiheit etwas mit der Weimarer Republik, der „Zwischen- Kriegs- Zeit“ zu tun hat. Der Tanz auf dem Vulkan, der immer schon den nächsten Weltkrieg im Blick hat.

Seite 140: 

„ Aus dieser Verstörung versuchten sich viele in die Heirat zu flüchten, der Ehering als Rettungsring. Margaret Goldsmith schreibt 1931 in ihrem Buch „Patience geht vorüber“ über die vom Krieg innerlich zerstörten Männer, ausgehungert und übersättigt, die in den zwanziger Jahren in Berlin schon nach dem ersten Tanz, oben auf der Tanzfläche, während die Musik noch spielte, die Frauen fragten, ob sie sie heiraten wollen, obwohl sie sich gerade erst nach ihrem Namen erkundigt hatten. Die Verlorenheit erzeugte eine ungeheure Dringlichkeit, auch die Ahnung, dass der eine Krieg zwar vorbei, der nächste aber sofort kommen kann, gab allen das Gefühl, dass keine Zeit zu verlieren sei.“

Lieben, Reisen, Feiern, aber immer auch Schaffen. In dieser Zeit sind in der Kunst, in der Literatur, Musik, Malerei, Architektur, Werke geschaffen worden, wie niemals wieder in Deutschland.

Was dann mit den Nationalsozialisten kam, war der größte Aderlass in der Geschichte 

der Deutschen Kultur, von dem sich das Land, wie ich meine, nie wieder erholt hat.

Dank Florian Illies enormer Recherche - Arbeit kann man noch einmal in ein Jahrzehnt eintauchen, welches seinesgleichen sucht.

So schreibt er beispielsweise unglaublich eindrücklich über den 30.01.1933. 

Während Dietrich Bonhoeffer an der Humboldt - Universität zu Berlin einen Vortrag über „Schöpfung und Fall“ hält und in den Straßen der Stadt die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gefeiert wird, sehe ich die Szenerie wie eine Parallelmontage vor mir.

 

Mit jedem Abschnitt habe ich mehr Lust bekommen, die Bücher der beschriebenen Schriftsteller zu lesen und häufe in meinem Zimmer Werke von Josef Roth, Irmgard Keun, der Familie Mann, Mascha Kaleko, Erich Maria Remarque; sehne mich nach Ausstellungen über Tamara Lempicka, Pablo Picasso, Max Beckmann, Otto Dix und Ernst Ludwig Kirchner. Möchte sofort die Chansons von Marlene Dietrich und die Werke von Brecht/Weill/ Lenya hören, mich mit Hannah Arendt und Walter Benjamin beschäftigen, nach Sanary- sur- Mer fahren und alle Grabstätten dieser Verfemten und Vertriebenen besuchen!

Die wunderbare Ironie des Schicksals ist, dass alle Künstler, Dichter und Denker, die ein barbarisches Regime in die Flucht trieb oder tötete, dank ihrer Werke und Gedanken bis heute gelesen, anerkannt und bewundert werden. Manchen, wie z. B. Gabriele Tergit, wird diese Anerkennung erst spät zuteil, aber am Ende siegt die Gerechtigkeit.

Das ist vielleicht die Lehre für uns Nachgeborene, denn auch wir leben aktuell in Zeiten des Hasses. Lasst uns mit Liebe darauf reagieren!

Oder wie Erich Kästner sagt:

„ Ja, die Bösen und Beschränkten

Sind die Meisten und die Stärkern.

Aber spiel nicht den Gekränkten.

Bleib am Leben, sie zu ärgern!“

Kommentare

gst kommentierte am 20. November 2021 um 14:57

Das Buch liegt als Hörbuch schon bei mir bereit. Nach Deiner (wie immer) gelungenen Rezension freue ich mich noch mehr darauf. Danke!