Rezension

Ein gut recherchierter Psychothriller mit einer guten Grundidee, aber nur leidlich spannend

Mädchentod - Julia Heaberlin

Mädchentod
von Julia Heaberlin

Bewertet mit 3 Sternen

Inhalt:

Tessa Cartwright wurde kurz vor ihrem 17. Geburtstag entführt und auf einem Feld inmitten von Knochen und neben der Leiche eines anderen Mädchens lebendig begraben. Sie ist kaum noch am Leben als sie wie durch ein Wunder in letzter Minute gefunden wird. An die Geschehnisse der letzten zweiunddreißig Stunden hat sie keine Erinnerungen mehr und würde selbst das Wenige, an das sie sich noch erinnern kann, am liebsten aus ihrem Gedächtnis verbannen. Den Anblick der erwürgten Collegestudentin und der Knochen der anderen unbekannten Mädchen, mit denen sie begraben wurde, sowie die Blumen, die Schwarzäugigen Susannen, die an ihrem Grab lagen und den namenlosen Opfern ihren Namen gaben, konnte sie allerdings nie vergessen. Tessa ist die einzige Überlebende des Serienmörders, die einzige Schwarzäugige Susanne, die gerettet werden konnte, und erlangte damit traurige Berühmtheit.
Auch siebzehn Jahre später wird sie aufgrund einer halbmondförmigen Narbe, die der Ring eines der anderen Opfer unter ihrem Auge hinterlassen hat, noch immer erkannt. Trotz diverser Therapien sind Tessas Erinnerungen nie zurückgekehrt, aber sie hört noch immer die Stimmen der anderen Schwarzäugigen Susannen, mit denen sie gemeinsam im Grab gelegen hatte. Der Täter konnte allerdings inzwischen gefasst werden und wartet nun im Todestrakt auf seine bevorstehende Hinrichtung. Jedoch hat jemand Schwarze Susannen vor Tessas Fenster gepflanzt und sie erhält außerdem immer wieder rätselhafte Nachrichten, die eigentlich nur vom Täter stammen können. Der vermeintliche Serienmörder soll in wenigen Wochen hingerichtet werden, aber Tessa beschleicht immer mehr der Verdacht, dass ein Unschuldiger verhaftet wurde, der wahre Täter noch immer auf freiem Fuß ist und sein Werk vollenden will. Gemeinsam mit einer Therapeutin, dem Anwalt Bill, der das Wiederaufnahmeverfahren des zum Tode Verurteilten betreibt, und einer Forensikerin begibt sie sich wieder auf die Spurensuche in ihre Vergangenheit, denn sie spürt, dass der wahre Mörder ganz in ihrer Nähe ist.

Meine persönliche Meinung:

Ich habe dieses Buch schon vor ein paar Monaten beim Stöbern in der Verlagsvorschau entdeckt und war so gespannt darauf, dass ich den Erscheinungstermin kaum abwarten konnte. Und so habe ich mich natürlich gefreut, dass ich Mädchentod gleich am Ersterscheinungstag in den Händen hielt und mit dem Lesen beginnen konnte. Nun ja, ein Buch dieses Umfangs lese ich in der Regel sehr schnell, aber der Einstieg in die Geschichte fiel mir recht schwer und war leider auch so langatmig, dass ich nicht so recht in Lesefluss kam, das Buch immer wieder zur Seite legte, mich zwischendurch anderen Büchern zuwandte und mehrere Wochen brauchte, um es zu beenden. Dies lag allerdings vor allem am Schreibstil bzw. an der Übersetzung des Textes, denn die Sprache ist so holprig und sperrig, dass das Lesen für mich recht anstrengend war und ich einige Kapitel brauchte, um mich daran zu gewöhnen. Außerdem passiert zu Beginn dieses Psychothrillers einfach recht wenig, sodass es ziemlich lange dauert, bis die Geschichte in Fahrt kommt.
Mädchentod wird abwechselnd in zwei Zeitebenen erzählt und die Kapitel wechseln zwischen den Geschehnissen der Gegenwart, kurz vor der Hinrichtung des vermeintlichen Täters, und den Ereignissen des Jahres 1995, kurz nachdem Tessie gerettet wurde. Beide Zeitebenen werden aus der Ich-Perspektive des Opfers geschildert, sodass man nicht nur der damals siebzehnjährigen Tessie, sondern auch der heutigen Tessa sehr nahekommt. Dennoch fiel es mir mitunter recht schwer, mich in die Hauptprotagonistin einzufühlen und ihre Gedankengänge und Handlungen nachzuvollziehen. Dabei ist es der Autorin zunächst wirklich sehr gut gelungen, die traumatischen Erinnerungen, die Tessa an die Stunden kurz vor ihrer Rettung hat, sehr eindrücklich zu beschreiben. Sie erinnert sich nicht an ihre Entführung, sondern nur daran, auf dem Feld inmitten von Knochen und neben der Leiche eines anderen Mädchens begraben worden zu sein, an die Insekten, Ratten und Krähen sowie an die Schwarzäugigen Susannen, also die Blumen, die an ihrem gemeinsamen Grab verstreut wurden. Diese Erinnerungen verfolgen Tessa noch heute, und noch immer träumt sie von den anderen den anderen Opfern des Serienmörders, ihren Schwarzäugigen Susannen, und hört ihre Stimmen. Es war für mich durchaus nachvollziehbar, dass sie diese traumatischen Erlebnisse niemals vergessen konnte, denn Julia Heaberlin hat Tessa sehr fein gezeichnet und gewährt durch die gewählte Ich-Perspektive tiefe Einblicke in ihr Gedanken- und Gefühlswelt.
In den Kapiteln, die im Jahre 1995 spielen, begleitet man Tessa während der Therapiestunden mit ihrem Psychologen und erfährt auch, dass sie bereits mehrere Therapeuten hatte, diese jedoch bisher alle ablehnte. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, was angesichts ihres Schicksals nicht verwunderlich ist, und einige Zeit auch an einer hysterischen Blindheit, also einer dissoziativen Sehstörung, bei der sich das Unterbewusstsein weigert, etwas zu sehen, obwohl die Augen gesund sind. Schwer nachvollziehbar war für mich, dass das Mädchen während dieser Therapiesitzungen so flapsig und aggressiv ist und wirklich nichts auslässt, um ihren Therapeuten zu provozieren. Für ein schwer traumatisiertes Mädchen fand ich ihr Verhalten nicht nur unangebracht, sondern auch nicht besonders glaubwürdig. Ich konnte zwar noch nachvollziehen, dass sie sich einerseits erinnern und ihre Erlebnisse verarbeiten will, andererseits lieber alles verdrängen und vergessen möchte, aber ihre Aggressionen und Provokationen waren für mich unverständlich.
Noch unverständlicher war für mich jedoch ihr Verhalten in der Gegenwart. Der vermeintliche Täter wurde bereits kurz nach ihrer Entführung verhaftet und zum Tode verurteilt. Schon wenige Wochen nach dem Prozess erhält Tessa zum ersten Mal Schwarzäugige Susannen, aber erst siebzehn Jahre später, kurz bevor der Mann, der seit Jahren unschuldig im Todestrakt sitzt, hingerichtet werden soll, kommt sie auf die Idee, dass diese Blumenbotschaften vom wahren Täter stammen könnten. Und nicht nur das, denn selbst nachdem sie endlich beschlossen hat, mit dem Anwalt des offenbar unschuldig Verurteilten den wahren Mörder zu finden, spricht sie mit niemandem über diese Schwarzäugigen Susannen, die über mehrere Jahre hinweg, wo immer sie auch gewohnt hat, vor ihrem Fenster gepflanzt wurden. Das mag verstehen, wer will, aber einleuchtend war dies für mich nicht, zumal sie immer wieder betont, dass sie sehen will, dass ihr „Monster“ stirbt und für seine grauenhaften Taten bestraft wird. Der Spannung des Plots ist dieses fragwürdige Verhalten der Protagonistin natürlich zuträglich, denn die Tage bis zur Hinrichtung sind inzwischen gezählt und so ist der Leser logischerweise sehr gespannt, wie und ob es überhaupt noch gelingen kann, das Leben des unschuldig Inhaftierten rechtzeitig zu retten. Dass er unschuldig ist, steht jedenfalls von Anfang an außer Frage. Obwohl man über diesen Mann, der seit mehr als einem Jahrzehnt unschuldig im Gefängnis sitzt, nur sehr wenig erfährt, war es sein Schicksal, das mich irgendwann am meisten berührte, während Tessa mir häufig ziemlich auf die Nerven ging. Julia Heaberlin erwähnt im Nachwort ihres Thrillers, dass sie sich bei ihren Recherchen nicht nur mit Psychologen und Anwälten, sondern auch mit einem ehemals zu Unrecht inhaftierten Strafgefangenen in Verbindung gesetzt hat, was man in einigen Passagen deutlich merkt und mich sehr beeindruckt und bewegt hat.
Nun, immerhin konnte ich mit der erwachsenen Tessa doch deutlich mehr anfangen, als mit der siebzehnjährigen Tessie. Die Kapitel, bei denen man einen Blick in das Jahr 1995 zurückwirft waren leider auch furchtbar langweilig, haben den Spannungsbogen immer wieder unterbrochen, denn außer den recht sinnlosen und wenig fruchtbaren Gesprächen mit ihrem Therapeuten passiert in diesen Passagen leider absolut nichts. Im Nachhinein betrachtet machen diese Kapitel zwar durchaus Sinn, aber da sich in ihnen dasselbe Szenario unendlich wiederholt, hätten sie nicht in dieser Ausführlichkeit und Regelmäßigkeit den gegenwärtigen Handlungsverlauf unterbrechen müssen.
Die Kapitel, die in der Gegenwart spielen waren nämlich durchaus spannend, da man die bedrohliche Situation, in der sich Tessa und ihre Tochter befinden, spürbar war und man eben auch hofft, dass der unschuldig zum Tode Verurteilte noch rechtzeitig gerettet werden kann.
Sehr interessant war hierbei auch, wie die Arbeit der Forensikerin geschildert wurde, die die sterblichen Überreste der anderen Opfer untersucht und versucht, den Schwarzäugigen Susannen, die bereits vor siebzehn Jahren ermordet wurden, eine Identität und einen Namen zu geben. Man merkt deutlich, dass die Autorin für diesen Thriller sehr akribisch recherchiert und sich umfassend über Methoden der Identifizierung von Leichen- und Knochenfunden informiert hat. Ich bin immer sehr beeindruckt, wenn sich Autoren die Mühe machen, für ihre Bücher gut zu recherchieren, denn das macht einen Thriller einfach glaubwürdiger.
Trotzdem war Mädchentod nur leidlich spannend und nahm erst gegen Ende richtig Fahrt auf. Die Auflösung des Falls war durchaus überraschend und nicht vorhersehbar, da die Autorin immer wieder falsche Fährten streut und der Leser eben nur die Perspektive der Hauptprotagonistin kennt, die ebenfalls im Dunkeln tappt und keine Erinnerungen mehr an die Geschehnisse hat. Leider bleiben auch am Ende noch zu viele Fragen offen, sodass mich dieses Buch mit einem ziemlich unbefriedigenden Gefühl zurückließ.
Die gute Recherchearbeit und die Einblicke in die Forensik sowie die teilweise sehr tiefgründigen Gedanken zur Rechtspraxis der Todesstrafe haben mich wirklich überzeugt. Auch die bedrohliche Situation, in der sich Tessa befindet, wurde sehr eindrücklich und nachvollziehbar geschildert. Die Idee, die diesem Psychothriller zugrunde liegt, hatte durchaus Potenzial, aber leider konnte mich die Umsetzung nicht so recht überzeugen und in weiten Teilen hat mir leider auch die Spannung gefehlt.