Rezension

Ein guter Junge scheitert am Leben - authentisch, berührend und frei von Selbstmitleid

Alles wird unsichtbar - Gerry Hadden

Alles wird unsichtbar
von Gerry Hadden

Berührend, tragisch und mit einer Prise Humor, erfrischend frei von Selbstmitleid

Milo ist ein Adoptivkind. Das strohblonde Adoptivkind eines schwarzen kubanischen Musikerpaares, dem die Flucht gelungen ist. Bongoschlagend und spanischsprechend wächst er in den 70-ern in der Bronx auf. Zu seinem sozialen Kreis gehört noch ein norwegischer so genannter Onkel namens Three Bags.

Diese Ausgangslage ist eines John Irvings würdig. Aber wo sich die Geschichte bei Irving skurril, amüsant und anrührend entwickeln würde, wird sie bei Hadden bodenlos traurig: Bei einem fürchterlichen Autounfall, den er sogar selbst verschuldet, verliert Milo einen Arm und seine geliebte Adoptivmutter. Der verbitterte Vater behandelt den Jungen ab da wie Luft und kümmert sich gerade mal so viel um ihn, dass ihm nicht das Jugendamt auf die Pelle rückt. Es kommt, wie es kommen muss - allein gelassen und enttäuscht gerät Milo auf die schiefe Bahn, baut immer mehr Mist, bis er im Jugendgefängnis landet. Dank der Initiative eines erfolgreichen Unternehmers, der selbst eine Jugendkriminalitätskarriere hinter sich hat, können Milo und ein paar andere auf ein College gehen und sogar in ein Austauschsemester nach Deutschland. So ganz gelingt es Milo nie, seinen Frust hinter sich zu lassen (das wäre bei seinem bisherigen Werdegang auch etwas utopisch), aber auf seine Art findet er seinen Weg und kann sich mit einigen Dingen in seiner Vergangenheit aussöhnen.

Die Geschichte wird auf verschiedenen Zeitebenen erzählt und wechselt zwischen Episoden aus Milos Kindheit und früher Jugend und der Erzählung, wie er aus dem Gefängnis in das Bildungsprojekt entlassen wird, aufs College geht und schließlich nach Deutschland ab. Durch den beständigen Wechsel bleibt die Erzählung immer abwechslungsreich, und Milo wird zu einem vielschichtigen, authentischen Charakter, da man seine Kinderjahre immer bereits mit Wissen über seine spätere Entwicklung und seine kriminelle Entwicklung mit Wissen über seine traurige Kindheit verfolgt.

Milos Geschichte ist tragisch und größtenteils ausweglos. Der rüde Umgang, den er mit Freunden pflegt, die deftige Sprache, sein Hang zur Gewalt werden durch die Verbitterungen, die er schon früh erfahren musste, nachvollziehbar. Und alles ist umso trauriger, als seine Ausgangslage eigentlich so vielversprechend war - ein aufgeweckter Junge und helles Köpfchen, umsorgt von seinen Adoptiveltern und eingebettet in eine künstlerische Szene, in der er zu einem großen Musiker hätte heranwachsen können. Selbst nach dem Verlust seiner Adoptivmutter und in der ersten Zeit, da er von seinem Vater links liegengelassen wird, bemüht er sich mit all der Tapferkeit, die ein kleiner Junge aufbringen kann, um ein anständiges Leben. Er ist eigentlich ein zutiefst guter Jungen; es reicht halt einfach nicht, die Enttäuschungen sind zu viele.

Bei all der Tragik, der Grausamkeit und der Rohheit, die Milos Leben bestimmen, hätte der Roman leicht bedrückend und unerträglich werden können. Aber Milo als Ich-Erzähler erzählt seine Geschichte in einem Tonfall, der immer wieder auch Humor und hier und da Normalität durchklingen lässt, so, wie er selbst in seinem Leben doch immer wieder auch mal aufatmen und einen unbelasteten Moment erleben kann. Seine Erzählung ist gänzlich frei von Selbstmitleid und dabei doch selbstreflektiert - nüchtern, realitätsnah und klar. Eine Figur, mit der man persönlich nicht unbedingt zu tun haben möchte, für die man aber viel Verständnis aufbringt und der man alles Gute wünscht.