Rezension

Ein spezieller Blickwinkel auf Theodor Herzl

Herzl - Shlomo Avineri, Theodor Herzl

Herzl
von Shlomo Avineri Theodor Herzl

Bewertet mit 4 Sternen

Israel liegt mir am Herzen. Diese recht schlichte Bemerkung sollte sowohl als Lesegrund wie auch als Teaser ausreichend sein.

Die vorliegende Biografie von Theodor Herzl (1860-1904) hat einen sehr speziellen Blickwinkel, was sie im Vorwort thematisiert. Insofern darf man nicht überrrascht sein, dass vom Leben des Theodor Herzl nur ein bestimmter Aspekt behandelt wird und alles andere, wenn überhaupt, höchstens mit einem Nebensatz anklingt.

Dieser Blickwinkel konzentriert sich auf die diplomatischen Bemühungen Herzls, Interesse und Unterstützung bei den Mächtigen und Einflußreichen seiner Zeit für den Gedanken eines eigenständigen jüdischen Staates zu wecken. Dabei geht der Autor maßgeblich von den Tagebüchern Herzls aus.

Was mir an diesem Buch gefallen hat, war einerseits die sorgfältige Analyse Herzls vornehmlich der europäischen Lage der Juden im 19. Jahrhundert. Zunächst sah es so aus, als ob sich die immer prekäre Situation der Juden in den europäischen Ländern, aber auch in Russland und im Orient entspannen würde, aber mit der Ermordung des Zaren Alexander II änderte sich die Einstellung der diversen Staaten zur jüdischen Emanzipation wieder und es gab zahlreiche Pogrome. Entscheidungen, mit denen Juden vollständige Bürgerrechte bekommen hatten,wurden überall zurückgenommen.

Andererseits sind in dem Text zahlreiche wichtige Informationen untergebacht, z.B. dass es zur Debatte stand, einen Judenstaat in Uganda zu errichten. Aufgrund der religiösen Vorbelastung konnte die Wahl des Territoriums jedoch nur Palästina sein.

Ich habe die Funktion Herzls besser verstanden und, obwohl es nicht direkt erklärt wurde, sogar die Abgrenzung zu denjenigen, die einem Kulturjudentum eher das Wort redeten, die Landfrage aber unbeachtlich fanden, ja gar meinten, man würde Gott damit ins Handwerk pfuschen, wenn man diese Dinge selber in die Hand nähme.

Ich erfuhr von dem juristisch gehaltenen, trockenen Broschürlein „Der Judenstaat“, das Herzl schrieb und warum es seinerzeit einschlug wie eine Bombe und den Boden für die Wiedererlangung jüdischer Identität bereitete.

Und natürlich, dass Theodor Herzl den ersten Zionistischen Kongreß in Basel gründete/eröffnete (1897), den er als Konstituierende Nationalversammlung für die Gründung des jüdischen Staates bezeichnete, damit die Zionistische Bewegung auf dem Tanz des internationalen Parketts etablierte, und den Juden zum ersten Mal nach zweitausend Jahren wieder die Stimme eines Volksvertreters gab. Durch deren Bevollmächtigung ist Herzl bei den internationalen Königshäusern aufgeschlagen und konnte auf Augenhöhe, nämlich als gewählter Repräsentant seines Volkes, mit ihnen verhandeln.

Was mir nicht gefiel, war die akribische Auflistung (gefühlt) jeden Briefes politischen und diplomatischen Inhalts, samt Datum und Inhalt, den Herzl in dieser Zeit schrieb, und er war sehr umtriebig. Mit etwas mehr allgemeiner Interpretation statt einzelnen Belegen hätte ich noch mehr Gewinn aus der besonderen Aufgabenstellung des Autors gezogen; gerade die Akribie und Detailfülle, die eine wissenschaftliche Arbeit auszeichnet, macht das Buch für einen Laien schwer lesbar.

Zitieren möchte ich, was auch der Autor zitiert, einen kurzen Auszug aus Herzls Tagebuch über sein Wirken:

„Wenn einmal der Judenstaat existieren wird, wird alles klein und selbstverständlich erscheinen. Vielleicht wird ein gerechterer Geschichtsschreiber finden, dass es immerhin etwas war, wenn ein mittelloser jüdischer Journalist inmitten der tiefsten Erniedrigung des jüdischen Volkes, zur Zeit des ekligsten Antisemitismus, aus einem Lappen eine Fahne und aus einem gesunkenen Gesindel ein Volk gemacht hat, das sich sich aufrecht um seine Fahne schaarte.“

Fazit: Erkenntnisgewinn, den man sich als Fachgebiets-Laie aber hart erarbeiten bzw. erlesen muss.

Kategorie: Biografie
Verlag: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2016

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 12. August 2016 um 13:38

Danke für die Rezension! Offenbar lohnt die Lektüre des Buchs, wenn man etwas Mühe nicht scheut.