Rezension

Eindrucksvoller Roman

Als wir an Wunder glaubten -

Als wir an Wunder glaubten
von Helga Bürster

Bewertet mit 4 Sternen

MEINE MEINUNG
In ihrem beeindruckenden, auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman „Als wir an Wunder glaubten“ widmet sich die deutsche Autorin Helga Bürster einem wenig bekannten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. Hierin greift sie sozialpsychologische Phänomene der deutschen Nachkriegsgesellschaft auf, die sich in einem weit verbreiteten Aber- und Hexenglauben, der Popularität von selbst ernannten „Wunderdoktoren“ wie Bruno Gröning aber auch Fällen von Hexendenunziationen äußerten.
Wie bereits in ihren letzten beiden Romanen „Luzies Erbe“ und „Eine andere Zeit“ entführt uns Bürster an einen sehr ländlichen Schauplatz im Norden Deutschlands. So ist diesmal ist der neue Roman in Unnenmoor zum Ende der 1940er Jahre angesiedelt, einem abgeschiedenen und rückständigen kleinen Ort in der unwirtlichen norddeutschen Moorlandschaft, an dem das Leben von vielen Beschränkungen geprägt ist und ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Hervorragend haben mir insbesondere die eindrucksvollen, atmosphärisch dichten Natur- und Landschaftsbeschreibungen der eigenwilligen und sehr mystischen Gegend und der unterschiedlichen Handlungsorte gefallen, die mich die Kargheit und die Härte der Naturgewalten hautnah haben spüren lassen
Einfühlsam und eindringlich erzählt die Autorin von verunsicherten und entwurzelten Menschen, denen nach ihren traumatischen Erlebnissen in der Nazizeit und durch die Folgen des verlorenen Kriegs die Orientierung und Sicherheiten abhandengekommen sind. Noch haben sie nicht in ihr Leben zurückgefunden und flüchten sich in der Hoffnung, Rückhalt und Geborgenheit zu finden, ins Irrationale und Übernatürliche. Sehr anschaulich und authentisch fängt sie die Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit der Dorfgemeinschaft von Unnenmoor und das allgegenwärtige Gefühl von sozialem Misstrauen und unbestimmten Zukunftsängsten ein. Sehr atmosphärisch beschreibt sie die düstere, trostlose Stimmung und bleierne Schwere, die auf dem Dorfleben lastet, das immer noch von den Auswirkungen des Krieges beeinflusst ist. Ein perfekter Nährboden für Scharlatane und Wanderpropheten, die den Weltuntergang ankündigen, und dem Aufleben von altem Aberglauben.
Nachvollziehbar ist die große Sehnsucht der Menschen nach einer besseren Zukunft und einem Leben ohne Schuldgefühle und die Schatten der Vergangenheit. Doch während die einen auf materiellen, Wohlstand, Fortschritt und Neuanfang setzen und die alten Traditionen rigoros hinter sich lassen wollen, besinnen sich andere in der schwierigen Zeit auf die früheren Zeiten, alte Bräuche, Geister und ihren Aberglauben und suchen Sündenböcke unter ihresgleichen, um sich von ihren unguten Emotionen und Ängsten zu befreien.
Der Autorin ist eine einfühlsame, vielschichtige Figurenzeichung ihrer Protagonistinnen gelungen. Am Beispiel der beiden Freundinnen Edith und Annie führt uns die Autorin anschaulich und ernüchternd den tristen Alltag in Unnenmoor vor Augen und lässt uns schrittweise in die bedrückende Nachkriegsatmosphäre eintauchen, die mich mit ihrer Intensität zunehmend in den Bann gezogen hat. Gemeinsam mit ihren Kindern, der aufgeweckten Betty und den geistig behinderten Willi haben sie die harten Kriegsjahre durchgestanden, immer noch auf sich selbst gestellt und warten sie auf die baldige Heimkehr ihrer Männer aus dem Krieg. Als jedoch Annis Mann Josef kriegsverseht, schwer traumatisiert und mit nur rudimentären Erinnerungen an die Vergangenheit heimkehrt, nimmt das Schicksal seinen fatalen Lauf und die Ereignisse gipfeln in einer bizarren Hexenjagd. Obwohl sich die Handlung bisweilen im Kreise zu drehen scheint, konnten mich vor allem Gustes alte Geister-Geschichten über die Glöhnigen und Töverschen, die mystische Atmosphäre und die Dynamik der sich zuspitzenden Geschehnisse sehr fesseln. Sehr glaubhaft wird in der bewegenden und nachdenklich stimmenden Geschichte dargelegt, wie leicht sich psychisch labile Menschen von Opportunisten und Blendern manipulieren und ausnutzen lassen.
Abgerundet wird der Roman durch einen zuversichtlich stimmenden Ausklang im Epilog, der die Geschehnisse nach einem großen Zeitsprung zu einem schönen, stimmigen Abschluss bringt.

FAZIT
Ein beklemmender Roman über ein wenig bekanntes Phänomen deutscher Nachkriegsgeschichte – eine eindrucksvoll erzählte Geschichte voller Magie, Mythen und Aberglaube, die noch länger nachwirkt und nachdenklich stimmt!