Rezension

Eindrückliches Kammerspiel über den Fanatismus anhand eines Familienschicksals

Der Name meines Bruders - Larry Tremblay

Der Name meines Bruders
von Larry Tremblay

Bewertet mit 4 Sternen

Zum Inhalt

Irgendwo in einem Land, in dem Krieg herrscht, leben die neunjährigen Zwillingsbrüder Amed und Aziz in einfachen Verhältnissen. Sie machen alles gemeinsam und hängen sehr aneinander. Außenstehenden ist es fast unmöglich, die beiden auseinanderzuhalten.

Eines Tages sterben ihre Großeltern bei einem Bombenangriff, und ihre Eltern erhalten Besuch von bewaffneten Männern, die den Vater dazu auffordern, einen der Brüder in einem Selbstmordattentat als Märtyrer zu opfern.

Die Wahl fällt auf Amed, denn Aziz leidet an einer unheilbaren Krankheit, an der er auf absehbare Zeit sterben wird. Deshalb wäre es in den Augen des Vaters kein echtes Opfer, wenn Aziz ginge...

Aber Amed hat Angst und hofft, dass Aziz sich freiwillig opfert. Und auch Ameds und Aziz' Mutter ist nicht bereit, beide Kinder zu verlieren.

Meine Meinung

Das Buch spielt in einem nicht näher spezifizierten Kriegsgebiet, lediglich die arabischen Namen schränken den Handlungsort räumlich etwas ein.

Anhand dieser Geschichte wird gut aufgezeigt, wie sich Fanatismus in solchen Ländern ausbreiten kann. Selbstmordattentäter und deren Eltern, die bereit waren, das eigene Kind für das vermeintliche Wohl des Volkes zu opfern, werden als Helden gefeiert. Die Kinder werden vor dem Attentat noch in heldenhafter Pose mit dem Bombengürtel um den Oberkörper für Fotoaufnahmen inszeniert, das Foto wird später bei der "Heldenfeier" ausgestellt. Das alles mutet seltsam und pervers an.

Die Eltern von Amed und Aziz sind zerrissen von ihrer Liebe zu den Söhnen und der Pflicht, ihrem Land zu dienen und ihren Beitrag zum Krieg zu leisten. Obwohl der Vater nicht politisch aktiv ist, ist er nach wenigem Zögern bereit, einen seiner Söhne zu opfern bzw. eigentlich beide Söhne, da er den kranken Aziz sowieso verlieren wird und sich dennoch dazu entschließt, den gesunden Amed das Attentat ausführen zu lassen. Als Leser fragt man sich, wie der Vater es schafft, sein(e) Kind(er) zu opfern. Er tut es aus mehreren Gründen: Er fühlt sich verpflichtet, auch seinen Beitrag zu leisten, denn auch andere Männer haben ihre Söhne geopfert. Er tut es aber auch sicherlich aus Angst, da eine Verweigerung vielleicht auch die komplette Eliminerung der Familie bedeuten könnte.

Wenn auch die Entscheidung nicht ganz freiwillig fällt, so heißt der Vater sie letztendlich doch irgendwie gut, und auch die Brüder gehen spielerisch mit dem Thema um und betrachten ihre Selbstopferung als ehrenvolle Handlung, streiten sich regelrecht darum, wer gehen darf. Erst als der Tag des geplanten Attentats näher rückt und Amed erfährt, dass er auserwählt ist, bekommt er Angst und möchte einen Rückzieher machen. Ob jedoch Aziz, der seinem Bruder bis aufs Haar gleicht, bereit ist, für Amed zu gehen, werde ich natürlich nicht verraten.

Es ist spannend, wie die Geschichte ausgeht, wie sich Aziz und Amed entscheiden. Man hofft bis zuletzt, dass alles gut ausgeht und durch eine glückliche Fügung des Schicksals beide Brüder überleben können. Doch ebensowenig wie Aziz' schwere Erkrankung ist der Krieg zu leugnen. Dass es kein Happy End gibt, damit nehme ich meines Erachtens nicht viel vorweg. Ein Happy End, ein kleines Wunder, das hätte zu der schweren und doch leider realitätsnahen Thematik einfach nicht gepasst. Ich werde aber natürlich nicht verraten, welcher der beiden Brüder gehen wird.

Die Sprache ist einfach gehalten mit eher kurzen Sätzen, der ganze Stil des Buches ist minimalistisch: Der Satzbau und auch die Geschichte an sich, die mit knapp 160 Seiten bei großzügigem Layout recht schnell gelesen ist. Der Roman wird im Klappentext als Kammerspiel angepriesen, und so wirkt er auch während des Lesens, zumal die Geschichte quasi auch in einem Kammerspiel endet – mehr möchte ich jedoch nicht dem Ende vorwegnehmen.

Die Geschichte geht emotional nicht in die Tiefe, es bleibt dem Leser selbst überlassen, wie sehr er sich mitreißen lässt. Mir persönlich blieben alle Figuren eher fremd und das Geschehen ging mir trotz der Tragik nicht sehr nahe, brachte mich aber auf jeden Fall zum Nachdenken.