Rezension

Eine anschauliche Reise durch die Pandemie

Wuhan -

Wuhan
von Liao Yiwu

Bewertet mit 4 Sternen

Nun bin ich selbst Mitte 2022 mit Corona infiziert, sitze Zuhause in Quarantäne und finde daher auch Zeit „Wuhan“ zu lesen. In Erwartung, einen Kumpanen für die Isolationszeit in der Hand zu haben, lesen sich die ersten Seiten noch recht zäh. Doch dann lässt einen die Odyssee des Protagonisten nicht mehr los. Das Ziel ist das Epizentrum Wuhan, um Frau und Tochter in der schweren Zeit, natürlich während des Ausbruches von Corona, beizustehen. Doch der Weg ist weit. Nicht nur durch tausende von Kilometer, sondern - dem durchschnittlichen europäischen Leser - kaum bekannte Städte, Regionen und Traditionen eines sehr fernen Landes. 

Fern auch, weil man sich fragt, von welcher Pandemie hier die Rede ist. Während 2020 in Europa neben anfänglicher Masken- und Testnot, dann doch recht schnell der Sommerurlaub im eigenen Land und der Ton über Zoom zu den großen alltäglichen Problemen wurden, zeigt uns „Wuhan“, was es wirklich heißt, in einer großen, totalitären Diktatur zu leben.

Neben der Romanhandlung finden sich dokumentarische Abschnitte und Kapitel. Letztere arbeiten die Diskussion um den Ursprung des Virus auf und zeigen das Schicksal einzelner Blogger, die zu Beginn der Pandemie in Wuhan und zu ihrem Ursprung ihre eigene Recherche durchführten und dafür verhaftet wurden. Einige von ihnen bleiben bis heute „verschwunden“.  Dieser hybride Ansatz führt dazu, dass Wahrheit und Fiktion verschwimmen und untrennbar ineinander übergehen. Und so drängt sich unverweigerlich „1984“ als Vergleich auf: Statt sich vor Telebildschirmen zu verstecken, helfen nun VPNs, die Macht der Partei zu umgehen und anstatt eines Tagebuchs, sind es Beiträge in sozialen Medien, die für den aktiven Widerstand stehen. Die  totalitäre Diktatur China ist jedoch keine Fiktion, sondern Wahrheit. Insofern ist es wohl auch so, dass „1984“ eben kein Corona hat, sondern China an „1984“ leidet.