Rezension

Eine existentiale Interpretation einiger Psalmen

Recht und Unrecht - Martin Buber

Recht und Unrecht
von Martin Buber

Bewertet mit 5 Sternen

Martin Bubers Schriften über die Bibel kann man auch mit Gewinn lesen, wenn man keiner Religion zugehört. Es geht – seiner dialogischen Philosophie entsprechend – darum, dass man von dem in der Bibel Gesagten angesprochen wird, es geht – wie etwa im Zen-Buddhismus oder in der auf der Sterblichkeitserfahrung aufbauenden Ethik von Werner Marx – um eine existentielle Erfahrung. Der Leser und die Leserin müssen – anders als zumindest bei manchen christlichen Theologen und Philosophen – nicht in einen Glaubensbereich eintreten, um dann von dort, aus dieser Perspektive, den biblischen Text zu betrachten. Das Judentum scheint mir überhaupt viel freier zu sein als das Christentum – wenn jemand sich existenziell um Wahrheit bemüht, hat das seine Gültigkeit; Unterschiedliches kann zusammen wahr sein, das eine schließt das andere nicht aus.

Martin Bubers schmale Schrift »Recht und Unrecht« ist ein Versuch existentialer Exegese der Psalmen 12, 14, 82, 73 und 1. Es geht um Ethik, um die Wahrheit menschlicher Existenz, wie sie in den Worten des Psalmisten zum Ausdruck kommt. Von Wahrheit als Übereinstimmung zwischen dem, was man meint, und der Mitteilung an den anderen ist die Rede, von der Ungewissheit, was der Tod bedeutet, von einer Teilhabe menschlicher Existenz an »Wahrheit« – gegenübergestellt der Nichtigkeit der »Lügner« (die z.B. anders reden, als sie denken und empfinden).

Bubers Psalmeninterpretation kann jede und jeder lesen, unabhängig von ihrer bzw. seiner Stellung zur Religion. Man muss nur versuchen, den Überlegungen des Autors zu dem, was im Text steht, zu folgen – ohne etwa eine Christologie hineinzuinterpretieren.

(Ich beziehe mich hier auf die vergriffene leinengebundene Ausgabe, die 1994 bei Lambert Schneider erschienen ist; die neuere broschierte Ausgabe von Schwabe ist text- und seitenidentisch.)