Rezension

Eine sehr langwierige Lektüre

Der Distelfink
von Donna Tartt

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es passiert, als Theo Decker dreizehn Jahre alt ist. An dem Tag, an dem er mit seiner Mutter ein New Yorker Museum besucht, verändert ein schreckliches Unglück sein Leben für immer. Er verliert sie unter tragischen Umständen und bleibt allein und auf sich gestellt zurück, sein Vater hat ihn schon lange im Stich gelassen.

Theo versinkt in tiefer Trauer, die ihn lange nicht mehr loslässt. Auch das Gemälde, das seit dem fatalen Ereignis verbotenerweise in seinem Besitz ist und ihn an seine Mutter erinnert, kann ihm keinen Trost spenden.

Ganz im Gegenteil: Mit jedem Jahr, das vergeht, kommt er immer weiter von seinem Weg ab und droht, in kriminelle Kreise abzurutschen. Und das Gemälde, das ihn auf merkwürdige Weise fasziniert, scheint ihn geradezu in eine Welt der Lügen und falschen Entscheidungen zu ziehen, in einen Sog, der ihn unaufhaltsam mit sich reißt … (Klappentext)

Eine schier nicht endend wollende Lektüre – Donna Tartts viel gelobter und bepreister Distelfink.

Ich mag viele dieser typischen amerikanischen Coming of Age-Geschichten, ich mag Bücher, in denen Kunst eine Rolle spielt und der Klappentext hatte mich neugierig gemacht. Ich war nicht darauf gefasst, dass mich ein 1000-seitiges Buch fast einen Monat lang in Beschlag hält und das nicht nur im positiven Sinne.

Bekanntermaßen beiße ich mich durch (fast) alle Romane bis zum bitteren Ende und Der Distelfink ist nun auch kein schlechtes Buch, nur nicht MEIN Buch – wenn ihr wisst, was ich meine [:)]

Dabei hatte ich kaum Probleme mit der etwas umständlichen und langatmigen Erzählweise der Autorin. Ich habe auch kein Problem mit einem nicht vorhandenen Spannungsbogen. Dafür gab es viele kleine Szenen, die mir sehr gut gefallen haben – sehr charmant zum Beispiel:

Und der Geschmack von Pippas Kuss – bittersüß und seltsam – blieb auf dem ganzen Rückweg bei mir, schwankend und schläfrig, als ich mit dem Bus nach Hause segelte, verschmolzen mit Trauer und Liebreiz, ein sternenfunkelnder Schmerz, der mich über die windige Stadt erhob wie einen Drachen: mit dem Kopf in den Regenwolken, mit dem Herzen im Himmel.

Mir sind auch die Schilderungen des Lebens in New York, Las Vegas und an der letzten Station Amsterdam in guter Erinnerung geblieben – wunderbare Porträts der Gegenden, die man sehr plastisch vor Augen hatte. Mir fiel die Lektüre allerdings zusehends schwerer, nachdem sich die Hauptcharaktere Theo und Boris von dummen Teenagern mit Flausen, Fehlern und blöden Ideen zu nahezu unerträglichen Unsympathen entwickelten.

Sicher muss man die Geschichte als komplexes Konstrukt sehen, in der Handlungsstränge und Charakterentwicklung konzertiert zusammenspielen, bei der nicht zuletzt auch das kleine niederländische Gemälde – der namensgebende Distelfink – eine wichtige Rolle spielt und so liefert der Roman auch ohne Zweifel Themen über Themen für Diskussionsrunden, literarische Zirkel etc pp.

Bei all den selbstzerstörerischen haarklein geschilderten Drogenexzessen und halbseidenen kriminellen Aktivitäten ohne eine Spur von Humor, verging mir jedoch die Leselust zusehends und ich war froh, als ich das letzte Drittel des Romans endlich durch hatte, um dann eine von Theos Schlusserkenntnissen zu lesen:

Niemand wird mir jemals, jemals einreden können, das Leben sei ein fantastisches lohnendes Geschenk. Denn dies ist die Wahrheit: Leben ist Katastrophe. Die Grundtatsache des Daseins – des Umhergehens auf der Suche nach Nahrung und Freunden und all dessen, was wir sonst noch tun – ist Katastrophe. Vergesst all diesen „Unsere kleine Stadt“-Unsinn, den man sich erzählt: das Wunder eines neugeborenen Kindes, die Freude an einer einzelnen Blüte, dieses Leben-du-bist-unfassbar-wundervoll etc. Für mich gilt – und das werde ich stur wiederholen, bis ich sterbe, bis ich auf mein undankbares, nihilistisches Gesicht falle und zu schwach bin, um es noch einmal zu sagen: besser nie geboren als geboren in diese Kloake. In diese Jauchegrube mit ihren Krankenhausbetten, Särgen und gebrochenen Herzen. Keine Erlösung, keine Berufung, kein „Neustart“, wie Xandra es gern nannte, kein Weg voran außer Alter und Verlust, kein Weg hinaus außer dem Tod.

Wobei er ja nicht unrecht hat, dennoch: Für mich war Der Distelfink insgesamt zu negativ, um mich damit anzufreunden. Ich vergebe nichtsdestotrotz dreieinhalb Lesesterne, und rate jedem Leser (mit viel Zeit), sich selbst ein Bild zu machen.