Rezension

Eine trauernde Familie in der Kritik der Öffentlichkeit...

Schlangen im Garten -

Schlangen im Garten
von Stefanie vor Schulte

Bewertet mit 4.5 Sternen

Eine trauernde Familie in der Kritik der Öffentlichkeit - gesellschaftskritischer Roman mit fantastischen und symbolkräftigen Bildern...

Familie Mohn hat die Mutter verloren. Jetzt steht sie im Verdacht, die Trauerarbeit zu verschleppen. Das Leben muss doch weitergehen, sagen die Nachbarn, meint das Traueramt. Doch Vater Adam, die wütende Linne, der nach Hause zurückgekehrte Student Steve und Micha, der Jüngste, wollen nicht weitergehen. Sie möchten Johanne bewahren – nicht nur in ihren eigenen Erinnerungen, sondern in unzähligen Geschichten, die deren Leben so vielleicht gar nie geschrieben hat. (Klappentext)

 

Erster Satz: "Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau."

 

Adam hat seiner Frau versprochen, ihre Tagebücher nie zu lesen. Nun ist sie gestorben, und um das Versprechen zu halten und ihr trotzdem nahe zu sein, verleiben sich Adam und die drei Kinder Abend für Abend die Seiten der Tagebücher ein. Das ist immerhin ein Ritual, das die Familie als solche zusammenhält. Denn ansonsten fühlt sich jedes Familienmitglied sehr alleine in seiner Trauer. Und jede:r hat eine eigene Art, mit der Trauer umzugehen.

Der jüngste Sohn Micha, der Leise, der droht darin unterzugehen, die Tochter Linne, die Wütende, die Ventile für ihre Wut sucht und sich zumindest im Schmerz noch spürt, der älteste Sohn Steve, der Fürsorgliche, der bereits studiert und nach dem Tod der Mutter zur Familie zurückgekehrt ist und der sich selbst zu vergessen droht, und der Witwer Adam, dessen drohende Depression verhindert, dass er die Kinder auch nur wahrnimmt.

 

"Aber eines Morgens ist es anders, und du setzt die Beine aus dem Bett auf den Boden und senkst deine Füße in stumpfes Schwarz, das durch deine Fußsohlen in dir emporwächst, und wenn du aufstehst, dauert jede Bewegung eine Ewigkeit, und willst du aus dem Fenster schauen, gibt es dort nichts mehr zu sehen, weil die Scheiben blind sind und Pech an ihnen herabrinnt. (...) Du stolperst und fällst und rutschst aus und schaffst es doch noch an den Tisch oder in das Bett, aber das Schwarz saugt sich weiter in dir empor, als wärest du ein gottverdammter Schwamm. (...) und ganz selten, wenn es einen Moment gibt, in dem du glaubst, es hinausschaffen zu können und -schafffen zu wollen, tastest du dich an der Wand entlang zur Tür, aber die ist nicht mehr da." (S. 25 f.)

 

Gerade der Beginn des Romans hat mich ungemein für die Erzählung eingenommen. Die Perspektiven wechseln, und so kommt der Leser / die Leserin mit jeder Art des Trauerns unmittelbar in Berührung - und berührend ist es: diese verzweifelte, nagende, aushöhlende Trauer, die Starre, Hilflosigkeit, Sehnsucht, Ohnmacht, ein Nicht-Wissen, wohin mit seinen Gefühlen. Doch wer den ersten Roman der Autorin kennt ("Junge mit schwarzem Hahn"), den wird es nicht verwundern, dass auch hier nach und nach skurrile und fantastische Anteile Einzug halten.

Da wäre z.B. Herr Ginster, ein Mitarbeiter des Traueramtes, der auf die Familie Mohn angesetzt wird. Der Trauerprozess der Familie scheint auf der Stelle zu treten, eine gesellschaftliche Belastung, zumal der Vater deshalb einfach seine Arbeitsstelle gekündigt hat. Die Beschwerden der Nachbarn häufen sich, unerträglich, diese ewige Trauer. Das Auftreten des Herrn Ginster erinnert an die Methoden der Stasi, und auch die bespitzelnden und denunzierenden Nachbarn reihen sich in diese Gepflogenheiten ein. Doch das stärkt wider Erwarten den Zusammenhalt der Familie...

Stefanie vor Schulte schreibt meist in kurzen Sätzen und in einem überaus bildhaften Schreibstil.

 

"Ob die Dinge die Mutter wohl auch vermissen. Zwei Wochen nach ihrem Tod zerschellt die Teekanne. Später folgen hier und da Teller und Tassen. Ein besonders alter Pfefferstreuer, eine Vase mit Fadenglas. Dinge, die niemandem außer ihr etwas bedeutet haben, vielleicht nicht mal von anderen berührt worden sind. Und als wüssten diese Gegenstände von dem Verlust, löschen sie sich aus. Entgleiten ihren angestammten Plätzen, perlen aus den Regalen." (S. 6)

 

Die kontinuierliche Zunahme der surrealen Szenen im Verlauf der Erzählung störte mich nicht, weil der Roman von starken Bildern lebt, und diese gehören dazu. Die Welt ist eben ver-rückt, wenn solch ein intensiver Prozess wie die Trauer um einen nahen Angehörigen durchlebt wird. Die von der Autorin gewählten Bilder haben oft auch einen Symbolcharakter. So taucht beispielsweise die titelgebende Schlange in verschiedenen Kontexten immer wieder auf, zuletzt als eine abgestreifte Schlangenhaut - ein Bild für einen Neubeginn, was mir sehr gefallen hat. Lediglich das Ende hätte ich mir anders gewünscht - da hätte ich es lieber gesehen, wenn der Bogen zurück zur Realität klarer gezogen worden wäre.

Ein außergewöhnlicher und durchaus auch gesellschaftskritischer Roman, der surreale und fantastische Elemente als Stilmittel nutzt, um die Individualität von Trauer zu betonen, dessen Prozess eben seine Zeit braucht. Lesenswert!

 

© Parden