Rezension

Eine wunderbare Geschichte vom Meer und seinen Mythen

Sturmherz - Britta Strauß

Sturmherz
von Britta Strauß

Bewertet mit 4 Sternen

Als Mari einen verletzten Seehund rettet, weiß sie noch nicht, in welch mystische Welt sie bald eintauchen wird. Dem Tode nahe verwandelt sich das Tier in einen Jungen, und Mari muss den Gedanken akzeptieren, dass hier ein leibhaftiger Selkie vor ihr steht. Jenes legendäre Wesen, das zwischen der Gestalt eines Seehundes und der eines Menschen wechseln kann, das Schiffe auf Grund und Seefahrer in die eisigen Fluten singen kann. Doch so schnell, wie er aufgetaucht ist, ist Louan wieder verschwunden. Von nun an verfolgt Mari der Gedanke an ihn und die Frage, ob das, was geschehen ist, real war oder nur ihrer Fantasie entsprungen ist.

Als sie ihn endlich wiederfindet, währt das Glück der beiden nur kurz. Zwei Wissenschaftler, die für das Geheimnis der Selkies alles tun würden, und ein ganzes Dorf voll Fischer nehmen die Verfolgung des geheimnisvollen Seehundes auf. Jeder will ein Stück vom Kuchen. Aber auch Louan verschweigt Mari Dinge aus seiner Vergangenheit und schließlich weiß sie nicht mehr, was der Wahrheit entspricht. Liebt Louan sie oder benutzt er sie nur, um das zu tun, was die Legenden behaupten: ihre Seele zu rauben und sie ins Unglück zu stürzen?

In Sturmherz erwartet den Leser eine abenteuerliche, fantastische, aber auch romantische Geschichte um das Meer und seine Legenden. Alle drei Aspekte halten sich sehr gut die Waage, sodass nichts zu kurz kommt und eine harmonische, fesselnde Mischung entsteht, die nichts zu wünschen übrig lässt. Die Erzählung enthält vier verschiedene Perspektiven, was die Lektüre abwechslungsreich macht und ihr auch eine interessante Dynamik verleiht. Mari und Louan erlebt der Leser jeweils aus der Ich-Perspektive, die sehr passend gewählt ist, da gerade diese beiden Figuren sehr stark von ihren zwiespältigen Gefühlen beeinflusst werden. Auf diese Weise kann auch der Leser die Liebe zwischen beiden sehr gut miterleben und verstehen. Die Passagen in der Sicht der beiden Wissenschaftler Aaron Welsh und Ruth Chapman bedienen sich der personalen Erzählsituation, wodurch der Leser die Chance erhält, sich ein Bild der „gegnerischen“ Position zu machen. Hierdurch wird schnell klar, dass Chapman und Welsh zwar das gleiche Ziel verfolgen, jedoch nicht die gleichen Ansichten teilen. Die Frage, wer von beiden wohl letzten Endes die Oberhand gewinnt, macht einen großen Reiz aus.

Ein wirkliches Highlight des Buches ist der wunderschöne Schreibstil der Autorin. Wortgewandt und mit immer neuen, sehr treffenden Vergleichen beschwört sie die passende Stimmung herauf und erbaut zugleich die Handlungsorte ihrer Geschichte voller Details. Ob stürmische See, raue Landschaften, die faszinierende Exotik des Wintergartens von Maris Vater oder das Schimmern der Sommersonne auf dem blauen Meer – mit wenigen Worten verzaubert Britta Strauß ihre Leser und entführt sie in die Welt von Mari und Louan.

Leider gab es jedoch einen Punkt, der mir das Lesen ein wenig vermiest hat. Immer wieder kommt die Autorin auf die – sicherlich gerechtfertigte – Kritik am Menschen und seinem fatalen Umgang mit der Natur und den Lebewesen zurück: Umweltverschmutzung durch den Menschen, Ausrottung von Arten, das brutale Abschlachten von Tieren, usw. Einerseits ist dies eine Tatsache. Diese anzusprechen und die Leser darauf aufmerksam zu machen, finde ich wichtig und richtig. Dass man sich während der Lektüre aber immer wieder und wieder schlecht fühlt, überhaupt ein Mensch zu sein, schießt für mich etwas über das Ziel hinaus, denn es gibt keinerlei Gegengewicht zu all diesen Anschuldigungen. Natürlich ist es gut, wenn ein Buch aufrütteln will, jedoch sollte so eine Thematik nicht derart einseitig betrachtet werden.

Dennoch vermag es die Autorin auch alle anderen Stimmungen und Gefühle absolut realistisch zu vermitteln: Louans Sehnsucht, die sich zwischen Mari und dem Meer splittet, die Trauer über die Vergangenheit und gleichzeitig das Glück vergangener Tage, die Freiheit, die er im Meer erlebt. Maris Zweifel, ihre echte, reine Liebe zu Louan, ihrem Vater und ihrem Leben, aber auch ihre Scham über das, was die Menschen der Natur antun. Die Hoffnung der Wissenschaftler, ihre Gewissensbisse und ihre Ignoranz. All das verwebt Britta Strauß so scheinbar mühelos in eine abwechslungsreiche Geschichte, fesselt und verzaubert den Leser mit ihren wundervollen Worten.

Die Gestaltung des Buches ist innen wie außen sehr liebevoll, sie transportierte die Atmosphäre des Romans perfekt. Das Korrektorat hätte jedoch etwas sorgfältiger sein können. Den Einstieg in ein jedes Kapitel bildet ein literarisches Zitat über das Meer, welches auf das folgende Geschehen einstimmt. Außerdem fällt positiv auf, dass zu Beginn häufig Unbekanntes (z.B. Tier- und Pflanzenarten, mythologische Gestalten usw.) in Fußnoten erklärt wird.

Fazit

Britta Strauß‘ Roman hat alles, was ein wirklich gutes Buch braucht. Eine fesselnde, sehr abwechslungsreiche Geschichte, komplexe Charaktere, eine dynamische Erzählsituation und einen wunderschönen Schreibstil, der bei jedem Satz begeistert. Lediglich die Kritik am Menschen und seinem Umgang mit der Natur ist oftmals zu dominant und ein fehlendes positives Gegengewicht lässt den Leser mit einem schalen Beigeschmack zurück. Dennoch empfehle ich dieses Buch sehr gern weiter. Alle, die das Meer und seine Mythen lieben und eine einfühlsame und spannende Geschichte lesen wollen, werden von Sturmherz absolut begeistert sein.