Rezension

Einzigartiges Ehedrama mit fesselndem Perspektivenspiel

Licht und Zorn - Lauren Groff

Licht und Zorn
von Lauren Groff

Abgründe eines Traumpaars

Lauren Groffs Roman Licht und Zorn zählte 2015 zu den meist diskutierten literarischen Werken in den Vereinigten Staaten – und das nicht nur, weil US-Präsident Obama ihn als sein Lieblingsbuch des Jahres bezeichnete. Dabei ist die Thematik auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich: In zwei separaten Teilen skizziert die Autorin das Porträt einer 24-jährigen Ehe – zum einen aus Sicht des Mannes, zum anderen aus Sicht der Frau. Wie Groff dies allerdings schriftstellerisch umsetzt, ist großartig: Ihr einzigartiges Gespür für Sprache, ihr Spiel mit antiken Mythen und ihr evidentes Verständnis von klassischer Tragödie (und Komödie) machen den Roman zu einem Leseerlebnis der besonderen Art. Denn die Geschichte hat viel mehr zu bieten als nur eine Aneinanderreihung von Eheszenen mit glücklichen, zornigen und traurigen Momenten: Die detaillierten Psychogramme der Ehepartner lassen tief blicken, doch trauen können wir ihnen nicht. Und so müssen wir als Leser selbst ergründen, wie die Wahrheit hinter der Fassade des Traumpaars ausgesehen haben könnte. Aber dies ist alles andere als einfach, denn ehe wir uns versehen, finden wir uns im zweiten Teil des Romans mitten in einem Ehethriller wieder, der uns in Atem hält und uns alles in Frage stellen lässt, was wir bisher über die Protagonisten zu wissen glaubten.

Die charismatische Lichtgestalt

Teil 1 wird aus Sicht des Ehemannes, Lancelot „Lotto“ Satterwhite, erzählt. Gutaussehend, charmant und mit einem von seiner Mutter stets geförderten künstlerischen Talent ist der nach einem sagenumwobenen Ritter benannte Sohn eines reichen Mineralwasserindustriellen aus Florida nicht nur für seine Eltern eine wahre Lichtgestalt. Dem „Golden Boy“, der zu Höherem berufen zu sein scheint, darf es an nichts fehlen, ihm stehen alle Türen offen. Doch nach dem plötzlichen Tod seines Vaters, der Lotto völlig verstört zurücklässt, gerät er auf die schiefe Bahn. Dies ändert sich erst, als seine Mutter ihn auf ein College in New Hampshire schickt und er dort die Schauspielerei für sich entdeckt. Sein Talent hält sich zwar in Grenzen, doch seine Aura überstrahlt alles. Schnell avanciert er zum Star der Truppe und spielt zur Überraschung seiner Lehrer sogar die klassischen Rollen.

Vor diesem Hintergrund nimmt auch die Zahl seiner weiblichen Verehrerinnen stetig zu, und Lotto kann keiner widerstehen: Er wechselt seine Freundinnen schneller als seine Hemden, bis er die kühle, unnahbar-schöne Mathilde Yoder nach einem seiner gefeierten Auftritte kennenlernt. Sie ist für ihn der Inbegriff einer Frau: Die perfekte Inkarnation von Schönheit und Reinheit, eine Heilige, die er anbetet. Als er dann nach der ersten Nacht festzustellen glaubt, dass er ihr erster Mann war, ist sein Glück perfekt. Nichts kann sein Bild von Mathilde trüben, für ihre passive Aggression und ihren unter der Oberfläche gefährlich leise brodelnden Zorn ist er blind. Mit nur 22 heiratet er sie – gegen den Willen seiner Mutter, die Mathilde von vornherein misstraut und ihm daraufhin jegliche finanzielle Unterstützung verweigert.

Doch Scheitern ist in Lottos Leben nicht vorgesehen. Als ihm der Durchbruch als Schauspieler nicht gelingt, wird er mit einer eines Nachts aus schierer Verzweiflung verfassten Tragödie zum gefeierten Dramatiker. Und was noch viel wichtiger ist: Seine Ehe mit Mathilde hat allen Widrigkeiten zum Trotz standgehalten, denn sie ist stark, getragen von gegenseitiger Liebe. Er bereut keine Sekunde, den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen zu haben, da sie Mathilde von Beginn an feindlich gegenüberstand. Außerdem scheint Mathilde zufrieden mit ihrer Rolle als Frau im Hintergrund, die in finanziell schwierigen Zeiten Geld für beide verdient, sein Leben bestens managt und sich nie beklagt. Doch dann erfährt er durch Zufall etwas Unglaubliches über Mathilde, das seine Welt und sein Bild von ihr völlig ins Wanken bringt…

Die zornige „Eiskönigin“

In Teil 2 erzählt uns Lottos Frau, Mathilde Yoder, ihre Geschichte. Und was wir über sie erfahren, schockiert und erschüttert uns, denn die wahre Mathilde hat so gar nichts gemeinsam mit dem verklärten Bild, das uns ihr Gatte in Teil 1 von seiner Frau übermittelt. Wir erfahren, wie sie durch eine Tragödie zu der Frau geworden ist, die sie ist: Eine reservierte Einzelgängerin ohne Freunde, die niemanden an sich herankommen lässt und die man hinter ihrem Rücken Eiskönigin nennt, weil sie kalt und unnahbar auf ihre Umgebung wirkt. Obwohl Mathilde gefühlsmäßig abgestumpft ist, gelingt es Lotto, zu ihr durchzudringen, auch wenn sie ihn anfänglich aus schierer Berechnung geheiratet hat. Lotto allein vermag von Beginn an, sie als den guten Menschen zu sehen, der sie so gerne geworden wäre. Dies gibt ihr nicht nur die Kraft, um weiterzumachen, sondern auch die Fähigkeit, einen Menschen zu lieben.

Doch zu groß ist ihr Zorn auf die Welt und ihr Selbsthass, als dass sie ihr Leben genießen könnte. Mehr und mehr entdeckt sie – patriarchalische – Facetten an ihrem Mann, die ihr übel aufstoßen. Zudem missfällt ihr seine enge Beziehung zu einem jungen Künstler, die sie zwar nicht einordnen kann, aber um jeden Preis torpedieren möchte. Auch Lottos Verhalten ihr gegenüber hat sich aus ihrer Sicht seltsam verändert. Er zieht sich immer mehr von ihr zurück und ist äußerst schweigsam. Verlustängste steigen in ihr auf, denn sie vermutet, dass er sie verlassen will. Doch noch bevor sie agieren kann, schlägt das Schicksal ein weiteres Mal zu…

Ein einzigartiges Ehedrama mit fesselndem Perspektivenspiel

Mit Licht und Zorn ist Lauren Groff ein beispielloses Ehedrama gelungen, das zugleich berührt und verstört. In ihre Geschichte webt die Autorin viele Elemente der klassischen griechischen Tragödie mit ein – so ist z.B. der scheinbar allwissende Erzähler, dessen Kommentare in eckigen Klammern zu finden sind, durchaus mit dem antiken Chor vergleichbar. Nachdem ihr Protagonist Lotto sich als Dramatiker etabliert hat, erzählt Groff sein weiteres Leben anhand seiner Werke, die oftmals Bezug zu großen antiken Tragödien bzw. mythischen Hintergrund haben. Das ist nicht nur ungewöhnlich und aufschlussreich, sondern zeigt auch, wie versiert die Autorin auf diesem Gebiet ist und wie klug sie die Dramen im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Romans konzipiert hat.

Sehr beeindruckt hat mich Groffs Perspektivenspiel und ihr singulärer Erzählstil, der uns – so scheint es zunächst – tief unter die Oberfläche ihrer Protagonisten katapultiert. Während Lotto immer ein wenig seicht, überschwenglich und manchmal auch lethargisch daherkommt, verlangt uns Mathilde einiges ab. Doch am Ende sind wir uns nicht wirklich sicher, welcher Wahrheit wir trauen können. Die einzige Erkenntnis, die wir nach Lektüre dieses Lehrstücks zwischenmenschlicher Beziehungen gewinnen können, ist, wie wenig wir manchmal vom anderen wissen, wie viel wir ausblenden bzw. nicht sehen wollen und wie sehr wir uns oftmals in das Bild verlieben, das wir uns von unserem Partner gemacht haben, auch wenn es vielleicht nicht der Realität entspricht. Doch gerade aus diesem Unwissen heraus, dessen wir uns ja gar nicht bewusst sind, kann, so zeigt uns Groff, eine tiefe Liebe entstehen, die Bestand hat und beflügelt. Ein kleiner Trost, der uns am Ende des Ehedramas dann doch nicht ganz ohne Hoffnung zurücklässt. Mein Fazit: Einer der besten Romane des Jahres  – absolut lesenswert!