Rezension

Erschütternd

Dunkelnacht -

Dunkelnacht
von Kirsten Boie

Bewertet mit 5 Sternen

Ein wichtiges Thema deutscher Geschichte, dem die Autorin mit diesem kleinen Buch großes Gehör verschafft.

Das Buch macht nicht nur optisch, sondern auch sprachlich einen altertümlichen Eindruck. Die Satzstellung ist ungewohnt, auch das Vokabular wirkt teilweise veraltet. Dadurch fühlt man sich viel stärker in die damalige Zeit hineinversetzt. Die Dunkelnacht beschreibt eines der vielen meist unbekannten Endphasenverbrechen, die noch kurz vor Kriegsende verübt wurden. Obwohl der Einmarsch der Amerikaner und das Ende des Krieges in greifbarer Nähe liegen, werden in einer einzigen Nacht noch viele unschuldige Leben ausgelöscht. Der gesamte Text macht einen gehetzten Eindruck, alles geht rasend schnell und es bleibt keine Zeit zum Innehalten und Nachdenken. Und genau so laufen die Ereignisse ab: Entscheidungen werden in Windeseile getroffen und kaum hinterfragt, wichtig ist nur dass man selbst am Ende nicht schuldig dasteht, sondern die Verantwortung abwälzen kann. Obwohl die Geschichte aus der Perspektive von drei Jugendlichen geschildert wird, schafft dies nur eine bedingte Nähe zum Geschehen. Der sachliche Schreibstil, der selbst Gefühlsregungen distanziert erscheinen lässt und in hartem Kontrast zum Inhalt steht, erzeugt eine Ohnmacht, in der sowohl die Jugendlichen als auch die Leser gefangen sind - man kann nur hilflos zusehen und kaum selbst etwas tun - oder doch? Am Ende bleiben Fragen offen - wie geht es für die drei Jugendlichen weiter, wie beeinflusst diese eine Nacht ihr weiteres Leben? Da es sich hier jedoch um fiktive Charaktere handelt, bleibt viel Raum für eigene Interpretationen, was sicher auch gewünscht ist. Das Nachwort liefert dafür weitere Informationen zur tatsächlichen Dunkelnacht und den Beteiligten, und auch der anhängende Glossar beantwortet manche Verständnisfrage. Endphasenverbrechen sind mir zwar als Begriff bekannt, waren aber nie Hauptthema in Bezug auf das Dritte Reich. Daher finde ich das Buch, das diesen dunklen Teil der deutschen Geschichte beschreibt, selbst in seiner fiktiven Form sehr informativ und vor allem extrem erschütternd. Als kurze Novelle, noch dazu mit Jugendlichen als Protagonisten und möglichen Identifikationsfiguren, ist das Buch als Schullektüre prädestiniert. Ein wichtiges Thema deutscher Geschichte, dem die Autorin mit diesem kleinen Buch großes Gehör verschafft.