Rezension

Familiengeschichte in Erinnerungen – melancholisch, sprachgewaltig

Nächstes Jahr in Berlin -

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von Astrid Seeberger

Bewertet mit 5 Sternen

Bildgewaltige melancholische Erinnerungsepisoden einer Mutter, von der Tochter niedergeschrieben

Fast könnte es einen umhauen, dieses Buch, so voll mit Schicksal, mit literarischen Anspielungen, mit Nachdenkenswertem. Zurück bleibt die Frage: Was tun die Menschen sich nur an und warum?

Das Cover ähnelt leider gewissen, oft leicht kitschigen Geschichten berühmter Frauen. Doch dieses Buch ist anders, hat viel Tiefgang, ist traurig und manchmal grausam. Worum geht es?

Eine Tochter reist aus Schweden nach Stuttgart, um die tote Mutter ein letztes Mal zu sehen und ihre Beerdigung zu organisieren. Man merkt als Leser gleich, dass es Unbewältigtes gibt, Dinge, die die Tochter beschäftigen und ihr keine Ruhe lassen. Einige Jahre später beginnt sie, ihre eigenen und die Erinnerungen der Mutter aufzuschreiben.

'Es gibt Erinnerungen, die sitzen wie Nägel im Körper fest.' (18) - 'Der Tod aber ist nicht endgültig. Die Toten bleiben in unserem Leben zurück.' (10)

Sie schildert episodenhaft und in poetischen Bildern das Leben in Ostpreußen, 'die sanft gewellte Landschaft mit dem weiten Himmel an einem schimmernden Meer' (15), den Ausbruch des Krieges, die unfassbaren Grausamkeiten der Flucht und den Neuanfang im Westen. Doch insgesamt nimmt das Leben der Mutter keinen guten Verlauf und endet in einer 'bodenlosen Leere'. Was ihr alles passiert ist, was sich Menschen einander antun, in der Familie, aber auch als Volk im Krieg, das erfahren die Leser in intensiven Sätzen, manchmal nur kurz angerissen, aber dennoch sehr eindrücklich. In manchen Büchern kritisiere ich das, aber hier passt es und zeichnet das Gesamtbild eines unglücklichen Lebens.

Es ist ein Buch mit Mehrwert, eines, das nachhallt, den Leser nach dem Zuklappen noch beschäftigt und eines, in dem man sicher beim zweiten Lesen noch viel Nachdenkenswertes entdecken wird.

Es endet mit dem Ausblick auf einen weiteren Band dieser Familiengeschichte – 'Goodbye Bukarest' und den tröstlichen Worten:

'Wie sollten wir die Unvollkommenheit ertragen können, wenn es die Zärtlichkeit nicht gäbe?' (250)