Rezension

Feines britisches Understatement

Travels With My Aunt - Graham Greene

Travels With My Aunt
von Graham Greene

Bewertet mit 5 Sternen

Beim Durchsehen meines Bücherregals fand ich diese alte Lektüre aus meinem Englisch-Leistungskurs. Plötzlich bekam ich Lust, herauszufinden, was wirklich in dem Buch steht, denn damals hatte ich - auf Grund meiner damals noch sehr fragmentarischen Englischkenntnisse und einer gewissen Unschuld - nur sehr wenig vom Inhalt der Pflichtlektüre mitbekommen, und vielleicht war das damals auch besser so...

Während der ersten Kapitel war ich mir denn auch nicht so sicher, ob dies wirklich zu meinem neuen Lieblingsbuch werden würde, und so richtig lachen konnte ich anfangs auch nicht darüber, dass der unbedarfte Liebhaber der hochbetagten Tante die Asche der Mutter des Protagonisten einfach weggekippt und Rauschgift in der Urne versteckt hat (hier wunderte ich mich zum ersten Mal über den Mut meines damaligen Englischlehrers - waren doch Kollegen vor ihm über harmlosere Lektüren gestolpert). Das Buch ist voll von solchen kleinen (und auch größeren) tabubrechenden Unkorrektheiten - allerdings versteht sich Graham Greene so auf das feine britische Understatement, dass man irgendwann anfängt, ihm die gewisse Prise britischen schwarzen Humors zu verzeihen.

Henry Pulling ist ein pensionierter Bänker, der seine Dahlien liebt und dessen Leben in ruhigen Bahnen verläuft, bis eines Tages seine Tante Augusta auftaucht und ihn auf ihre Reisen mitnimmt - ihn, der nie über den Tellerrand hinausgeschaut hat und nun zum ersten Mal ausländischen Boden betritt. Henry, der zunächst sehr skeptisch die zwielichtigen Geschäfte seiner mit allen Wassern gewaschenen schlitzohrigen Verwandten beäugt, fängt allmählich an, diese skurrile alte Dame in sein Herz zu schließen, und irgendwann kommt für ihn der Punkt auf seiner Reise, wo es kein Zurück mehr gibt...

Dass ich mich allmählich immer wohler gefühlt habe bei der Lektüre, liegt nicht nur daran, dass ich selbstzufrieden feststellen konnte, nun erheblich mehr zu verstehen als damals, sondern auch an dem zurückhaltenden und dadurch sehr sympathischen Charakter des Protagonisten, der stets mit einer stoischen Unaufgeregtheit von den Schwierigkeiten berichtet, in die er durch die diversen Händel seiner Tante gerät. Der Autor hat eine feine Beobachtungsgabe für die allmähliche Veränderung und Selbstreflektion, der sich Henry unterzieht. Während der ganzen Reise sind die englischen Literaturklassiker unauffällige, aber präsente Begleiter - dass ausgerechnet der völlig ungebildete schwarze Liebhaber der Tante, den Henry nach anfänglichem Missfallen mehr und mehr ins Herz schließt, "Wordsworth" heißt, zeugt von der Freude, die der Autor am Spiel mit literarischen Anspielungen hat.

Der Schluss der Geschichte hinterlässt etliche Fragezeichen. Man weiß plötzlich nicht mehr, ob man moralisch urteilen will über die zwielichtige Vergangenheit des hochbetagten Liebespaares, das sich am Ende wiedergefunden hat. Waren sie doch nur kleine Fische in all dem Lügengespinst von Korruption und Verrat.

Obwohl mir missfallen hat, dass das Buch brisante Themen letztendlich verharmlost, gebe ich 5 Sterne für ein wunderbar geistreiches Lesevergnügen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. September 2014 um 00:25

Ah ja!!! Von Graham Greene ist jedes Buch ein Treffer!

Kennst du vllt auch das Kinder-/Jugendbuch "Die unmögliche Tante?" von Ann Scott-Moncrieff? Wenn nicht, hole die Lektüre bitte nach. Ich habe Tränen gelacht.

Arbutus kommentierte am 15. September 2014 um 20:58

Soeben beim großen bösen "A" bestellt (antiquarisch, weil nicht mehr anders erhältlich - mein Gewissen ist rein : )  Bin gespannt!

wandagreen kommentierte am 17. September 2014 um 19:20

Hoffentlich sind es nicht (nur) verklärende Erinnerungen gewesen! Es ist schliesslich schon ziiiiiemlich lange her, die Lektüre; andererseits  - nie vergessen!