Rezension

"Funkenflieger" von Rita Falk

Funkenflieger
von Rita Falk

Bewertet mit 5 Sternen

Erster Satz
Wenn es überhaupt Dinge gibt, die ich mag, dann sind das saubere Fingernägel und Marzipankartoffeln.

Inhalt
Marvin, den alle nur Locke nennen, wächst in einer Familie auf, deren jeglicher Zusammenhalt fehlt. Seine beiden älteren Brüder, die von einem anderen Mann stammen, sind aufgrund der Gene ihres Vaters beide dunkelhäutig und haben daher in der Schule und in der Siedlung mit Vorurteilen zu kämpfen, die gemeinsame Mutter Elvira hat sich nach einer Kündigung total aufgegeben und sitzt den lieben langen Tag vor dem Fernseher und Lockes engste Bezugsperson ist sein bester Freund Friedl von gegenüber. Doch auch Friedl hat mit Familienproblemen zu kämpfen, denn sein Vater, ein ehemaliger Bundeswehrsoldat, schlägt ihn und seine Mutter. Gar keine idealen Voraussetzungen als Locke herausfindet, dass sein ältester Bruder Kevin seine türkischen Freundin Aicha geschwängert hat. Als deren Eltern das herausfinden, wollen sie das junge Mädchen in die Türkei verfrachten, um das Kind abtreiben zu lassen. Kevin weiß sich nicht zu helfen und so hecken er, der mittlere Bruder Robin, Locke und Friedl  einen Plan aus, um Aicha ihren Eltern zu entziehen und sich zu überlegen, wie das Leben weitergehen soll. Unerwartete Hilfe bekommen die Jugendlichen dabei von einer resoluten Krankenschwester, deren Bruder, der als Polizist arbeitet und einem Kunstlehrer.
Meine Meinung
Bisher kannte ich Rita Falk nur von ihrer Provinzkrimi-Reihe, die sich um den Dorfgendarm Franz Eberhofer dreht. Diese Bücher hatte ich erst vor kurzem entdeckt und mich sofort in die Reihe verliebt. Mit Funkenflieger hat Frau Falk jetzt aber ein Buch geschrieben, das sich von ihren lustigen Provinzkrimis doch sehr unterscheidet. Daher wollte ich dieses Buch unbedingt lesen, um zu schauen, ob Rita Falk auch anders kann als nur lustig. Und nachdem ich das Buch als jetzt gelesen hatte, muss ich sagen: sie kann! Und wie sie kann!

Den Einstieg ins Buch habe ich als sehr angenehm empfunden. Die Geschichte wird aus Sicht von Locke bzw Marvin erzählt, der sich am Anfang erst einmal vorstellt und den Leser in sein Leben einführt. Man bekommt recht schnell ein Bild davon, wie zerrüttet das Leben für Locke und seine Mitmenschen ist. Und genauso schnell stellten sich bei mir die verschiedensten Emotionen für die Charaktere ein. Die Jungs taten mir sofort leid. Elvira, ihre Mutter, hatte viel zu früh Kinder bekommen, wurde von ihrer großen Liebe verlassen, bekam dann noch Locke und als sie alleine mit drei Kindern war, verlor sie ihren Job. Die Hoffnungslosigkeit in der Familie steht anfangs absolut im Vordergrund und wurde von Rita Falk sehr authentisch und glaubhaft dargestellt. Die Geschichte könnte so in jedem Unterschichten-Haushalt in Deutschland genau so wirklich passieren. Rita Falk hat nichts übertrieben, aber auch nirgends die Geschichte geschönt.

Der Schreibstil war so wie ich ihn bereits von Rita Falk kannte. Hätte auf dem Cover nicht ihr Name gestanden, hätte ich trotzdem gewusst, welcher Autor diese Geschichte geschrieben hat. Anfangs war es für mich leicht gewöhnungsbedürftig, diesen Schreibstil mit einem ernsten Roman und nicht mit einem humorvollen Provinz-Krimi zu verbinden, doch trotzdem passte es irgendwie. Das Buch lässt sich leicht lesen und die Seiten fliegen nur so an einem vorbei. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber durch den Schreibstil schaffte es Rita Falk dem Leser die Gefühle und Gedanken der Protagonisten, ihr Umfeld und ihr Leben näher zu bringen.

Die Handlung nimmt recht schnell an Fahrt auf. Schon nach kurzem kommt es zur Schwangerschaft von Aicha und auch ohne, dass es ausdrücklich ausgesprochen wird, sind die Probleme, die dieses Kind mit sich bringt, sofort greifbar. Obwohl die Brüder bisher eher sporadisch eine Beziehung zueinander hatten, scheint es für keinen eine Frage zu sein, Kevin in dieser Situation beizustehen. In einem alten, leerstehenden Casino verstecken sie Aicha vor ihrer Familie. Deren Eltern und auch ihr großer Bruder Achmed sind anfangs absolut gegen diese Schwangerschaft, allen voran ihre Mutter

Im Vordergrund steht aber nicht ein riskantes Versteckspiel, denn das Herz dieses Buches sind die Charaktere. Als Erzähler der Geschichte steht natürlich Locke im Zentrum des Geschehens. Er ist eigentlich ein recht reifer Junge, dem seine Probleme und die seines Umfelds durchaus bewusst sind. Er hat das Herz am rechten Fleck. Locke spielt für die Handlung eine nicht unwesentliche Rolle, doch trotzdem wird er nicht in den Vordergrund gedrängt.Und auch obwohl die Schwangerschaft von Aicha die Rahmengeschichte liefert, ist genug Platz für die Handlungsstränge. Und davon gibt es wahrlich einige. Kevin muss von jetzt auf gleich erwachsen werden, um eine Frau und ein Kind zu ernähren. Obwohl er schon vorher der Mann im Haus war, nachdem Elvira ohne Mann lebte, ist es doch ein schwerer Schritt für ihn, in so kurzer Zeit erwachsen zu werden. Robin, der mittlere Bruder, hat dagegen Probleme ganz anderer Art. Durch seine dunkle Hautfarbe ist die Zielscheibe einer rechtsradikaler Gruppe, die ihm das Geld abnimmt oder ihn grün und blau schlägt. Das führt sogar so weit, dass er nach einer weiteren Attacke schwer verletzt im Krankenhaus aufgenommen werden muss. Und an Robins Krankenbett fängt dann auch Elviras Entwicklung an. Sie lernt Annemarie kennen, eine Krankenschwester, die sich Elviras annimmt und sie mal wieder so richtig in Fahrt bringt. Nach und nach schafft sie es, die Frau aus ihrer Lethargie zu holen und ihr wieder einen Zugang zum Leben zu ermöglichen. Dabei sind auch die drei Jungs nicht vor ihr sicher. Mit dem Auftauchen von Annemarie fangen alle Charaktere an, eine starke Entwicklung durchzumachen, die aber bei Elvira aber am offensichtlichsten ist.

Rita Falk hat es geschafft, eine Hand voll Charaktere zu schaffen, die der Leser allesamt in sein Herz schließt. Ich könnte noch nicht mal sagen, dass ich unter ihnen einen Liebling hätte, da sie mich alle in mehr oder weniger starken Weise berührt haben. Ich habe mit ihnen mitgelitten, mich für sie gefreut. Selten habe ich solche Gefühle und Emotionen gefühlt während des Lesens eines Buches. Es hat mich von der ersten Seite an abgeholt und mich nicht mehr aus seinem Bann gelassen. Das Thema das Buches trifft genau die Umstände dieser Zeit und ich kenne nur wenige Bücher, die sich an diesen tiefgründigen Stoff herangewagt haben. Die Story ist einfach direkt aus dem Leben gegriffen und macht er dem Leser dadurch leicht, in die Geschichte einzusteigen

Das Ende des Buches war mir zwar schon recht früh klar bzw. ich konnte es mir denken, da es aber nicht um das Ziel, sondern um den Weg dahin geht, fand ich das absolut nicht schlimm. 
Mein Fazit
Mit Funkenflieger hat Rita Falk eindeutig bewiesen, dass sie nicht nur witzig sein kann, sondern auch Bücher mit Tiefgang und jeder Menge Emotionen schreiben kann. Dabei benötigt sie noch nicht mal eine actiongeladene Handlung, sondern beweist, dass das Leben an sich schon actionreich, gefühlsgeladen, spannend und rührend genug sein kann. Mit diesem Buch hat sie sich an ein Thema rangewagt, das bestimmt keine leichte Kost ist. Doch man muss ihr Respekt zollen, dass sie sich überhaupt mit einem solchen Thema auseinander gesetzt hat und dabei eine unglaublich gefühlvolle und ergreifende Geschichte konstruiert hat. Wieder einmal hat Rita Falk mir einen Grund mehr gegeben, sie zu meinen absoluten Lieblingsautoren zu zählen.