Rezension

Gewissenlose Forscher und ihr Ehrgeiz

M.I.A. - Das Schneekind - Edgar Rai, Kathrin Andres

M.I.A. - Das Schneekind
von Edgar Rai Kathrin Andres

Bewertet mit 3 Sternen

Die Hotelangestellte Sandra hat soeben die Affäre mit ihrem Chef beendet und fährt aufgewühlt über die nächtlichen, eisglatten Straßen in den Schweizer Bergen nach Hause, als ihr ein Wagen entgegenkommt. Sie hat Glück und kann ausweichen, doch der Wagen auf der Gegenfahrbahn stürzt ab, der Fahrer stirbt, noch während Sandra hinzueilt, und sie nimmt sich des kleinen, verängstigten Mädchens an, das auf dem Rücksicht gesessen hatte. Nachdem die kleine Mia schließlich wohlbehalten bei ihrer eigenartig kalten, distanzierten Adoptivmutter abgegeben worden ist, beginnen sich seltsame Vorfälle in Sandras Umfeld zu häufen: das Haus ihres Nachbarn, dem sie von dem Unfall erzählt hatte, brennt plötzlich bis auf die Grundmauern nieder, eine Leiche wird gefunden, bei der alles darauf hindeutet, dass es die des hilfreichen Nachbarn ist. Sandra wird von schwarzen Autos verfolgt, sie erhält verschlüsselte Warnungen, - und als sie Mia, das Kind, das ihr in jener Schneenacht ans Herz gewachsen ist, besuchen möchte, sagt man ihr, dass die Kleine wegen ihres Gesundheitszustandes in ein Krankenhaus gebracht wurde, das sich sehr bald als Forschungsinstitut herausstellt. Sandras Misstrauen ist geweckt und sie beschließt, auf eigene Faust der rätselhaften Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Ein gefährliches Unterfangen...

Der Thriller lässt sich zugegebenermaßen spannend an und scheint meine aufgrund des Klappentextes in ihn gesetzten Erwartungen in jeder Beziehung zu erfüllen.
Doch in dem Maße, wie sich die Spannung bis zur Hälfte des Buches steigert, häufen sich auch die Unklarheiten und Verwirrungen, die bald überhand nehmen und eine durchaus realistische Geschichte um größenwahnsinnige Forscher, die Gott spielen und denen, um ihr Ziel zu erreichen, nichts heilig und kein Menschenleben achtenswert ist, immer mehr abflachen lassen bis zu einem abrupten, überstürzten und allzu glatten, beschönigenden Ende, bei dem nicht nur viele Fragen, die sich im Laufe der Handlung auftun, unbeantwortet bleiben, sondern das gleichzeitig neue aufwirft und insgesamt wenig befriedigen kann.

Das Thema an sich, Eingriffe in das menschliche Erbgut von einer Art, die zumindest in Deutschland nicht zulässig ist, ist interessant und aktuell, und bis zu einem gewissen Punkt gelingt es den Autoren auch, diese Aktualität und auch Unerhörtheit zu vermitteln. Leider bleiben sie an der Oberfläche, gehen nicht tief genug, um den auf dem Gebiet der Genforschung wenig bewanderten Durchschnittsleser mit den nötigen Informationen zu versorgen, die das Rätsel um die kleine Hauptperson Mia, die bedauernswerterweise nach dem fulminanten Beginn nur noch einmal kurz zum Schluss auftaucht, wirklich zu erhellen.

Die zweite Protagonistin, Sandra, hingegen, begleitet den Leser kontinuierlich. Und dennoch will es mir nicht gelingen, mich ihr anzunähern, mich mit ihr anzufreunden, so blass und unbedeutend, unbedarft und naiv erscheint sie mir während der gesamten Handlung.
Das kann man von ihrer patenten, unkonventionellen Mutter Heide, der sich Sandra schließlich anvertraut, nicht behaupten! Sie ist diejenige Figur in dem Thriller, die diesem ein wenig Spritzigkeit und auch Witz verleiht und die einzige, die nicht so stereotyp gezeichnet ist wie ausnahmslos alle anderen handelnden Personen, die bösen wie die guten. Die einzige auch, die nach dem Lesen noch eine Weile im Gedächtnis des Lesers bleiben mag, während die anderen, sogar das allzu abwesende Schneekind Mia, sich schon bald in immer schwächer werdende graue Schatten verwandelt haben.
Alles in allem kommt mir der Thriller wie der bloße Entwurf für etwas Größeres, Bedeutenderes, Stimmigeres vor, das hier aber leider nur zu ahnen ist. Schade!