Rezension

Gormenghast? Was ist das denn?

Gormenghast / Der junge Titus - Mervyn Peake

Gormenghast - Der junge Titus
von Mervyn Peake

Bewertet mit 4 Sternen

Allgemeines zum Buch und dessen Aufbau:
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"Gormenghast 01. Der junge Titus" ist der erste Band einer Reihe, die von "Gormenghast 02. Im Schloss" und "Gormenghast 03. Der letzte Lord Groan" fortgesetzt wird. Der vierte Band der Reihe, "Gormenghast 04. Titus Awakes", wurde leider nie vollendet. Allerdings habe ich neulich auf der Seite vom Klett-Cotta Verlag gelesen, dass es wohl von einem Verwandten des Autors vollendet wurde. Könnte der Sohn oder so gewesen sein, genau weiß ich es gerade nicht...

Eingeleitet wird das Buch durch ein Vorwort des Autors Kai Meyer, in dem sich dieser sowohl zu der Bedeutung des Werkes für die Literaturwelt äußert als auch über den Autor selbst. Dabei stellt Kai Meyer unter anderem einen Zusammenhang zwischen der Kindheit von Mervyn Peake und deren Verarbeitung in seinen Werken her. Dieses Vorwort war sehr interessant zu lesen und dient hervorragend als Einleitung in Peakes persönliche und literarische Welt.

"Gormenghast 01. Der junge Titus" ist mit seinen 616 Seiten ein sehr umfangreiches Werk. Das Buch gliedert sich in 69 Kapitel, die mit durchschnittlich neun Seiten einen angenehmen Umfang haben. Die Kapitel sind zusätzlich in Abschnitte unterteilt, sodass sich während des Lesens bequem Lesepausen einlegen lassen, ohne das jeweilige Kapitel unbedingt zu Ende lesen zu müssen. Überschrieben sind die Kapitel jeweils mit einem Titel, der teilweise nur aus einem einzelnen Wort besteht, teilweise auch aus einer Wortgruppe. Immer sind die Titel aber wohlgewählt und deuten einiges vom jeweiligen Kapitelinhalt an.

Geschrieben ist das Buch aus der Sicht eines allwissenden Erzählers in der Vergangenheitsform.

Handlungsort ist sowohl das Schloss Gormenghast selbst als auch sein Außenbereich, der von schäbigen Behausungen und ihren wunderlichen Bewohnern dominiert wird.

Die Originalausgabe erschien im Jahre 1946 unter dem Titel "Titus Groan" im Verlag Eyre & Spottiswoode, London.

Meine Meinung zum Buch:
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Selten habe ich ein Buch gelesen, das so anspruchsvoll geschrieben ist und mir dennoch enormes Lesevergnügen bereitet.

Anspruchsvoll ist das Buch in erster Linie aufgrund des Schreibstils. Der Autor versteht es einfach hervorragend, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden, die aus Hauptsatz sowie mehreren Nebensätze unterschiedlichsten Grades bestehen. Nicht selten umfassen diese zehn Zeilen oder mehr und testen die innere Stimme des Lesers auf ihr Atemvolumen und das Gedächtnis des Lesers auf seine Erinnerungsfähigkeit. Denn viel zu schnell vergisst man am Ende des Satzes, womit er begonnen hat. Und dennoch machen diese umfangreichen und scheinbar endlosen Sätze den Reiz des Buches aus. Mervyn Peake muss große Freude dabei empfunden haben, sowohl das Schloss Gormenghast selbst als auch seine Bewohner zu entwerfen und zu zeichnen. Und diese Freude drückt er in seinem Stil aus: In seinen liebevollen Beschreibungen und seinem Blick für jedes noch so kleinste Detail.

Anspruchsvoll ist das Buch aber auch aufgrund der Vielzahl an Charakteren, die dem Leser begegnen und ihm vorgestellt werden. Dabei gibt es keinen Hauptcharakter, sondern jeder Schlossbewohner spielt eine wichtige und unerlässliche Rolle. Der Leser muss sich die verschiedensten Namen merken und in einen Zusammenhang mit der jeweiligen Personenbeschreibung bringen, um ein Bild des Charakters zu bekommen. Unterstützung erfährt der Leser aber durch den Autor selbst, der jede Person mit unverwechselbaren Eigenheiten versieht, ihm sowohl äußerlich als auch innerlich Charaktereigenschaften zuweist, anhand derer er wiederzuerkennen ist. Doch vor allem sind es die Verhaltensweisen der einzelnen Protagonisten, die für Wiedererkennungswert sorgen und so das Schlossleben einzigartig machen.

Und so kommt es, dass das Buch trotz seines Anspruchs für höchstes Lesevergnügen sorgt. Man merkt dem Buch an, dass es von seinem Autor mit einem Augenzwinkern geschrieben worden sein muss, denn ein unterschwelliger Humor ist stets spürbar.

Der Klappentext gibt bezüglich der Romanhandlung nicht viel her und doch stellt er eine gelungene Zusammenfassung der Ereignisse dar. Denn es passiert wirklich nicht viel in diesem Buch, und dennoch kommt auf mehr als 600 Seiten selten Langeweile auf. Die Handlung nimmt mit der Geburt des jungen Titus ihren Lauf und endet zwei Jahre nach dessen Hereinbrechen in das Schlossgeschehen. Denn Eines steht fest: Titus sorgt für jede Menge Wirbel und Veränderungen im Schlossalltag.

Was sich jedoch nicht leugnen lässt, ist, dass während des Lesens stellenweise schon Langatmigkeit aufkommt und sich manche Szenen ganz schön in die Länge ziehen. Mir ging es beim Lesen vor allem dann so, als von Personen berichtet wurde, die mir nicht unbedingt sympathisch waren. Ihr Schicksal hat mich dann demzufolge auch einfach nicht so sehr interessiert, sodass sich das Buch bei diesen Szenen nicht ganz flüssig las. Aber da die Erzählperspektive häufig zwischen den verschiedensten Charakteren wechselt, kamen nach langatmigen Szenen mit unliebsamen Charakteren auch schnell wieder kurzweilige Szenen mit sympathischen Charakteren.

Mein Fazit:
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Ein außergewöhnliches Buch eines Autors, der sein Handwerk versteht.

Kommentare

kommentierte am 04. November 2013 um 17:42

Kann nur zustimmen, ein außergewöhnliches Leseerlebnis. Ich habe es vor ein paar Jahren durch eine  Fernsehverfilmung der Buchreihe auf Arte entdeckt. Die britische Verfilmung (4-Teiler) ist übrigens sehr gelungen und prominent besetzt (Jonathan Rhys Meyers, Christopher Lee und Stephen Fry). Seit kurzem auch endlich auf DVD in deutsch erhältlich. Lohnt sich.

buchstabentraeume kommentierte am 04. November 2013 um 18:20

Danke für den Hinweis! Das wusste ich noch gar nicht.