Rezension

Heilsame Musik

Ein Lied für meine Tochter - Jodi Picoult

Ein Lied für meine Tochter
von Jodi Picoult

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die 40jährige Zoe Baxter, Musiktherapeutin von Beruf, ist mit Max verheiratet. Ihren zunächst gemeinsamen Kinderwunsch  versuchen sie durch künstliche Befruchtungen zu erfüllen. Es kommt zu mehreren Fehlgeburten und schließlich zu einer Totgeburt in der 28. Schwangerschaftswoche. Obwohl jede weitere Schwangerschaft für Zoe eine Lebensgefahr bedeutet, hält sie an ihrem zur Besessenheit gewordenen Wunsch nach einem Kind fest. Die Kinderwunschbehandlung überfordert Max schließlich. Er trennt sich von Zoe.

Anschließend fängt Max – trockener Alkoholiker – wieder das Trinken an. Seinen Tiefpunkt erreicht er, als er im trunkenen Zustand bei einem Verkehrsunfall Zoe zu töten meint. Nun findet der bis dahin nicht religiöse Max zu Gott, unterstützt von seinem ebenfalls ungewollt kinderlosen, streng gläubigen Bruder Reid. Dieser vermittelt Max an den radikalen, anti-homosexuell eingestellten Pastor Clive Lincoln von der Eternal Glory Church.

Zoe baut unterdessen eine Freundschaft zur lesbischen Schulpsychologin Vanessa auf. Diese unterstützt Zoe nach einer Totaloperation aufgrund von Gebärmutterkrebs. Schon bald erkennt Zoe ihre - auf Gegenseitigkeit beruhende - Liebe zu Vanessa. Sie heiraten und möchten unter Verwendung von Zoe’s noch vorhandenen eingefrorenen Embryonen ein von Vanessa auszutragendes Baby, wozu es der Genehmigung von Max bedarf. Für diesen in seiner mittlerweile fanatischen Glaubenseinstellung bedeutet Homosexualität, dass die Betroffenen von Gott keine Erlösung bekommen werden. Bestärkt von Pastor Lincoln möchte er selbst die Embryonen, um sie Reid und seiner Frau Liddy zu überlasen. Erbittert tragen Zoe und Max ihren Streit um die Embryonen vor Gericht aus. Der Prozess nimmt eine unerwartete Wendung. Wird Zoe noch Mutter?

 

 

Trotz seines Umfanges lässt sich der Roman schnell und gut lesen. Dazu trägt bei, dass die drei Protagonisten Zoe, Max und Vanessa abwechselnd das z.T. gleiche Geschehen aus ihrer Perspektive schildern und es auf diese Weise zu Wiederholungen mit jeweils anderer Sichtweise kommt.

Der Leser wird direkt in das Geschehen eingebunden, indem er gelegentlich unmittelbar angesprochen wird.

Obwohl die Thematik – unerfüllter Kinderwunsch, Totgeburt, Krebserkrankung, Alkoholismus – recht traurig ist, finde ich es gut, dass die Protagonistin Zoe nicht als tragische Figur dargestellt wird. Immer wieder macht Zoe an eigentlich ernsten Stellen Witze, z.B. in einer Unterhaltung mit Vanessa nach der Diagnose ihrer Krebserkrankung („Ich habe wirklich Krebs.“ „Vielleicht schaffst du es ja, vor Sonnenuntergang auch noch Wundbrand zu bekommen.“ „Wäre das nicht ein wenig gierig?“, erwidert Zoe. „Ich meine, jemand anderes wird doch sicher auch eine Heuschreckenplage oder die Schweinegrippe brauchen können … „ „Oder Termiten“, füge ich hinzu.).

Auch die anderen Figuren sind auf ihre Art humorvoll. So rätseln an einer Stelle z.B. Max und Zoe über die Herstellung von Öl und Max fragt, woraus Babyöl gemacht wird. Die konsequente Antwort wäre „aus Babys“ und darüber lachen beide herzhaft. Zoe’s Rechtsanwältin etwa lässt massenhaft Anwaltswitze einfließen, z.B. S. 398 („Haben Sie = Zoe gewusst, dass die Post Wade Prestons = Max‘ Anwalt Gesicht beinahe auf eine Briefmarke gedruckt hätte? Aber sie haben den Plan aufgegeben, weil die Leute nicht wussten, auf welche Seite sie spucken sollten!“).

Das den Roman beherrschende Thema der Homosexualität wird umfassend unter Darstellung der gegensätzlichen gesellschaftlichen Ansichten hierzu erörtert. Dazu passen die unterschiedlichen Einstellungen der Mütter von Zoe und Vanessa zur Homosexualität ihrer Töchter.

Das Thema passt gut in die gegenwärtig in Amerika, insbesondere im Präsidentschaftswahlkampf geführte erbitterte Diskussion um die Zulassung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und die Gleichberechtigung Homosexueller.

Was den Roman so besonders macht, ist, dass die Musik eine wichtige Rolle in ihm spielt, angefangen vom Titel bis zur vielfältigen Wissensvermittlung über die Musiktherapie, den Beruf von Zoe. Ein Kernsatz dazu ist für mich auf S. 17 zu finden: Für Zoe „ist Musik die Sprache der Erinnerung.“

Die Spannung bleibt bis zum Schluss erhalten, zumal der Roman unvorhersehbar endet

Einzig negativ anzumerken habe ich, dass die gesamte Handlung in wenigen Monaten spielt. Das macht das ganze etwas unrealistisch.

Ein für Frauen durchweg zu empfehlender Roman. Für andere Leserkreise wohl nicht so interessant.