Rezension

Interessante Figuren und spannende Handlung

Wilhelm Meisters Lehrjahre - Johann Wolfgang von Goethe

Wilhelm Meisters Lehrjahre
von Johann Wolfgang von Goethe

Bewertet mit 4.5 Sternen

Wilhelm Meisters Lehrjahre ist ein Klassiker der deutschen Literatur, fällt aber hinter Goethes Werther bezüglich der Bekanntheit zurück. Für mich völlig unverständlich.

Ich habe die Lehrjahre gelesen, nachdem ich den unvollendeten „Urmeister“, die Theatralische Sendung, gelesen habe. Das machte den ersten Teil des Romans für mich etwas unspannend, aber das lag definitiv nicht am Roman. Goethe arbeitet hier sehr stark mit Perspektiven. Hauptsächlich wird aus der Sicht des Wilhelm Meisters geschrieben, allerdings mit einer gewissen ironischen Distanz. Aber – was auf mich recht ungewöhnlich schien – es werden immer wieder Einblicke in das Leben und Denken gerade der Frauen gegeben, denen er begegnet. Teilweise nehmen diese sogar den Umfang eines Romans im Roman ein. Dabei ist der Roman erstaunlich offen. Keine der Frauen wird wegen ihres liederlichen Lebenswandels verdammt, jede hat unterschiedliche Anlagen und Bedürfnisse. Natürlich sieht Goethe den besten Wirkungskreis der Frau im Haus und seiner Bewirtschaftung, aber eher mit dem neidischen Blick des Mannes, der gezwungen ist, seinen Blick „immer nach vorne“ zu richten und leider selten so an der Umwelt teilnehmen kann wie die Frau. Und dieser Wirkungskreis ist auch kein Muss. Es wird klar, dass die weiblichen Charaktere unterschiedliche Anlagen und Wünsche haben. In dem Roman haben die unterschiedlichsten Menschen Platz: Traumatisierte, Gefallene, Händler, Grafen, Schauspieler – immer das weibliche Pendant mitgedacht. Sie sind liebevoll beschrieben. Ich fand es gut, dass die Erzählung nicht so fixiert war wie die im Werther. Natürlich muss man die Figuren im Kontext der Zeit lesen, aber wenn man es tut, sind sie auch für den heutigen Leser psychologisch nachvollziehbar.

In der ersten Hälfte der Erzählung haben mich die theoretischen Abhandlungen des Theaters etwas genervt, aber die Handlung steht immer im Vordergrund. Zwischendurch wird sie sogar immer wieder richtig spannend. Zum Schluss sind es gerade die Beziehungsverwicklungen, die die Handlung vorpreschen lassen.

Fazit: Die Lehrjahre sind spannend, nachvollziehbar und erstaunlich modern. Die Lebensentwürfe, die aufeinanderprallen, kann der interessierte Leser noch heute verstehen und seine Lehren daraus ziehen.