Rezension

Interessanter Blick auf den Aufgabenbereich des Gerichtsgutachters

Im Gehirn des Bösen - Helmut Kury

Im Gehirn des Bösen
von Helmut Kury

Bewertet mit 4 Sternen

Inhalt und Meinung:
Helmut Kury, Kriminologe und Psychologe, hat als Gerichtsgutachter bereits viele Schwerverbrecher exploriert – d.h. sich gründlich mit ihnen beschäftigt, sich lange mit ihnen unterhalten und anschließend dann die Gefährlichkeit der befragten Personen eingeschätzt.

Kury unterteilt sein Buch in sieben größere Fälle, in die er jeweils noch einige kleinere als Vergleichsbeispiele einflicht und weiterführende Informationen liefert, wie zum Beispiel dem Strafrecht oder seiner Tätigkeit als Gutachter und wie ein solches Gutachten erstellt wird. Zusätzlich hat er noch 3 Kapitel “Zwischenrufe” benannt, in denen er die Themen Therapie bei (Sexual-)Straftätern, Jugendkriminalität und Dunkelfeld aufgreift und erläutert. Das letzte Kapitel widmet er unter anderem der Frage, was gegen die Kriminalitätsrate unternommen werden könnte, wiederholt hier allerdings sehr viel, was er bereits mehrere Male in den vorherigen Kapitel erwähnt, irgendwann hat mans ja dann doch verstanden – vereinfacht: Herr Kury ist für Resozialisierung der Täter und gegen härtere Bestrafungen, er argumentiert, dass häufig die Ursache in der Kindheit der Täter liegt, somit einem Versäumnis der Gesellschaft zuzuschreiben ist und man dem benachteiligten “Kind” lieber eine helfende Hand reichen sollte, als es auch noch zu treten, wenn es schon am Boden liegt.

Die Wiederholungen machen sich auch etwas im Sprachlichen bemerkbar, zum Beispiel mit den Phrasen “zu Recht” und “ich möchte betonen” geht er doch recht verschwenderisch um. Und obwohl er bekräftigt, dass dies kein Buch für Fachleute ist, gleitet sein Ton ab und zu dann doch etwas ins Formale und wirkt etwas gestelzt. Allerdings immer gut verständlich, ohne ins Fach-Kauderwelsch abzurutschen. Ich fand jedoch mein letztens gelesenes Buch “Begegnung mit dem Serienmörder” von Stephan Harbort aufgrund seiner lockereren Sprache angenehmer zu lesen.

Das wars allerdings dann auch mit Meckern, denn die Fälle selbst, die Herr Kury ausgewählt hat, fand ich extrem spannend und abwechslungsreich. Von Mord, über Vergewaltigung und Raub, bis hin zum Patrizid – alle fand ich sie interessant, insbesondere, da der Autor zu jedem einzelnen zu Berurteilenden auch dessen Vorgeschichte mit eingebunden hat. Hier fällt auf, dass ausnahmslos alle eine schwierige, wenn nicht gar richtig schlimme Kindheit hatten, was sein Drängen nach Resozialisierung natürlich gekonnt unterstützt.

Ob man nun mit dem Autor einer Meinung ist oder nicht, sei mal dahingestellt. Allerdings fällt auf, dass die "Effekthascherei" die er den Medien vorwirft, sich in seinem eigenen Buchtitel tatsächlich recht deutlich spiegelt.
Wer Interesse an diesem Genre hat wird von den vorgestellten Fällen mit Sicherheit in den Bann gezogen und auch die Erklärungen darüber, wie Gerichtsgutachter vorgehen und bewerten fand ich sehr lehrreich und spannend. Einzig die ständigen Wiederhplungen zehren dann doch – besonders gegen Ende des Buches – ein wenig an den Nerven.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 26. Juli 2014 um 08:48

Eine reflektierte Rezension - besonders, dass der Autor nach Effekten hascht, obwohl er gerade das doch der Gesellschaft vorwirft, ist ein interessanter Aspekt. Doch ja, das Buch müsste zu einer Diskussion führen, über Strafe, was ist das, warum brauchen wir welche und Resozialisierung. Ich vermute  jedoch, dass der Autor die Opferseite nicht beleuchet hat. Habe ich recht?

MadlyInLoveWithBooks kommentierte am 26. Juli 2014 um 18:03

Nein, Kury "betont" zwar immer wieder, dass er keinesfalls die Opferseite benachteiligen möchte, aber das ist tatsächlich auch schon alles, was er zu ihnen sagt. Er stellt noch den Täter-Opfer-Ausgleich vor, der bestimmt wirksam ist, WENN beide Parteien bereit dazu sind, WENN optimal vorbereitet wurde, WENN währenddessen optimal begleitet wird. Mir persönlich sind das ein wenig zu viele Wenns, dafür dass dann angeblich beide Seiten von so einem Modell profitieren sollen. In der Theorie macht das durchaus Sinn, ob das in größerem Umfang auch in der Praxis dann noch spaßig ist, das bezweifle ich dann doch. Und der Vorwurf an das Modell, dass die Resozialisierung der Täter auf Kosten der Opfer stattfindet, erscheint mir dann doch sehr wahrscheinlich, auch wenn er dies abstreiten möchte.

wandagreen kommentierte am 27. Juli 2014 um 09:14

Es ist schon eine ziemlich komplizierte Materie. Die Kindheit und die Prägung des Täters sind wirklich auch ernst zu nehmen, aber das Verlangen des Opfers nach einem vollwertigen Ausgleich ebenso. Und wenn man von aussen draufschaut, wird man schnell von seinen eigenen Emotionen übermannt.

Aber wenn ich an "früher" denke, wo man Täter völlig unabhängig von ihrer Vita be-und verurteilt hat, dann war auch das nicht gut, sogar unmenschlich ...

Eigentlich ein gesamtges. Problem: Ungerechtigkeit und Ungleichheiten angehen ... wird nie ganz gelingen.

MadlyInLoveWithBooks kommentierte am 27. Juli 2014 um 14:34

Mir erscheint es definitiv auch schwierig, besonders in den härteren Fällen, wie Pädophilie, da is die Wut natürlich auch ganz schnell, ganz groß und lässt ein Zurückschauen auf eine etwaige Missbrauchsvergangenheit nur schwer zu.

Ja ich fürchte auch, allen kann man es nie "Recht" machen.