Rezension

Interessanter Einblick in den Postrevolutionären Iran

Ein Teelöffel Land und Meer - Dina Nayeri

Ein Teelöffel Land und Meer
von Dina Nayeri

Die erste Berührung mit diesem besonderen Buch hatte ich, als mich das schöne, in Blautönen gehaltene Cover in seinen Bann gezogen hat.

Schnell hatten mich auch der Klappentext und die Leseprobe überzeugt.

   

Die Geschichte beginnt mit dem 11-jährigen iranischem Mädchen Saba und dem wohl einschneidensten Tag ihres Lebens. Dem Tag, an dem ihre Mutter und ihre Schwester Mahtab für immer und ohne Erklärung aus ihrem Leben verschwinden.

Die glückliche Kindheit der beiden Zwillingsschwestern endet damit abrupt und Saba bleibt allein zurück, voller Verzweiflung und Fragen. Aber auch voller Hoffnung Mutter und Schwester eines Tages wieder sehen zu dürfen, denn sie sind, davon ist sie fest überzeugt, nach Amerika gegangen, ins Land von Sabas Sehnsucht!

Unzählige Geschichten über das glückliche Leben der beiden im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem alles so anders ist als im postrevolutionären, geistig engen, traditionellen Iran, spinnt sich die phantasievolle Saba im Laufe der nächsten Jahren zusammen. So bunt und lebendig ist das Bild, das sie entwirft, dass es wirklich glaubhaft wirkt.

Immer an ihrer Seite sind ihre Freunde, der Junge Reza und die beste Freundin Ponneh. Gemeinsam werden die drei erwachsen und stehen dabei immer im Spannungsfeld zwischen ihrem tatsächlichen Leben im Iran, geprägt von Verzicht und Vorsicht und Sabas lebhaften Geschichten und ihrem eigenen Freiheitsdrang.

Die geistige Verbindung zwischen der abwesenden Zwillingsschwester Mahtab und Saba scheint dabei nie abzureißen und Saba fühlt, was die Schwester im fernen Amerika fühlt und erlebt.

  

Die anderen Dorfbewohner scheinen hingegen überzeugt, dass Mutter und Schwester vor Jahren verstarben. Niemand spricht so recht mit Saba darüber, alle lassen sie lieber ihre Geschichten erzählen und so gelangt der Leser in einen inneren Konflikt: welche der beiden Möglichkeiten stimmt? Was spricht dafür und dagegen?

Das Netz um die Wahrheit ist so geschickt gesponnen, dass man als Leser bis ganz zum Schluss nicht so richtig einordnen kann, ob Sabas Intuitionen stimmen, ihre Version stimmt oder ob die durchs Dorf schwirrenden Gerüchte sich zu einem tatsächlichen Geschehen zusammen bringen lassen.

Diese Unwissenheit über die Wahrheit schafft eine starke, überzeugende Spannung und ist wirklich gekonnt konstruiert.

 

Durch die Gedankensprünge nach Amerika zu Mahtab lebt Saba ihre Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit von Frauen, freier Bildung, Musik, Kultur, einfach einem freien Leben aus. Oder passiert das alles vielleicht doch wirklich und ist mehr als Sabas Wunschdenken?

   

Auch das tatsächliche Leben am kaspischen Meer, Sabas Freundschaften, die Dorfgemeinschaft, die Umwelt, die politischen Zustände, die Beziehung zum Vater, ganz besonders aber die Lebensbedingungen der Frauen im Iran werden sehr lebhaft geschildert, so dass man sich auch ohne Vorwissen gut informiert fühlt.

Durch die wechselnden Erzählperspektiven bekommt der Leser einen guten Überblick und verschiedene Blickwinkel werden beleuchtet.

Das macht das Buch auch sehr emotional, da man mit den einzelnen Figuren, natürlich in erste Linie mit der Protagonistin Saba und ihrem Schicksal,  stark mitfühlen kann. Die politischen Gegebenheiten im Iran nach der Kulturrevolution sind historisch korrekt und authentisch geschildert und berühren gerade dadurch besonders. Diese eingeschränkten Lebensbedingungen kann man sich als im freien Westen sozialisierter Mensch gar nicht vorstellen und sie machen sprach- und fassungslos. Besonders der Umgang mit Frauen, die Macht der Mullahs, die offenkundige Akzeptanz von Gewalt und Willkür und die Einschränkung der Pressefreiheit haben in mir immer wieder während des Lesens Empörung geweckt.  Das macht die Lektüre zu einer sehr emotionalen, aufwühlenden und das Buch hat mich auch wenn ich gerade nicht gelesen habe, innerlich beschäftigt.

    

Trotz aller negativen Aspekte wird der Iran, seine Kultur, seine Natur und Gesellschaft, der Familienzusammenhalt, die Gastfreundschaft mit so viel Herzenswärme geschildert, dass das Buch aber auch eine starke Wärme ausstrahlt.  

 

Durch dieses Buch taucht man als Leser in eine bunte, vielschichtige orientalische Welt ein,, die man förmlich vor sich sieht!

Lediglich ein kleines Sternchen ziehe ich ab, da die detailreiche Erzählweise leider manche Längen aufweist, was den an sich gekonnt gezogenen Spannungsbogen teilweise unnötig in die Länge zieht.

Dennoch ist dieses Buch eines, das ich jedem kulturinteressierten Leser wärmstens ans Herz legen möchte! Er ist etwas Besonderes, ein Roman, wie man ihn nicht oft zu lesen bekommt!