Rezension

Mein bisheriges Lese-Highlight 2013

Ein Teelöffel Land und Meer - Dina Nayeri

Ein Teelöffel Land und Meer
von Dina Nayeri

Jetzt, wo viel Land und Meer zwischen den Schwestern liegt, wie viel Teelöffel voll würde Saba wohl schöpfen müssen, um Mahtab zu erreichen? Tja, lassen sie es mich für Sie beantworten: Es würde nicht sehr lange dauern, um das Land zwischen ihnen zu überwinden, aber man müsste das ganze Meer leer schöpfen.

Inhalt

Saba und Mahtab sind Zwillinge und bis zu ihrem 11. Lebensjahr immer unzertrennlich gewesen. Als die Familie, gezwungen durch die postrevolutionären Zustände im Iran, eines Tages zum Teheraner Flughafen fährt, um nach Amerika zu reisen, fehlt jedoch Mahtab. Auf Sabas Fragen, geben ihr die Eltern nur Ausflüchte statt Antworten und beruhigen das Mädchen damit, dass sie die Schwester am Flughafen treffen werden. Durch das Chaos verliert Saba ihre Mutter aus den Augen und als sie sie wieder sieht, ist sie sicher, dass diese in einem blauen Manteau bekleidet und Mahtab an der Hand in ein Flugzeug nach Amerika steigt. Doch sind diese Erinnerungen wirklich wahr? Sind Mahtab und ihre Mutter in das Flugzeug in die USA gestiegen? Oder ist alles ganz anders und die Version der Nachbarinnen, deren zu Folge Mahtab bei einem Badeunfall ertrunken und die Mutter ins Gefängnis gebracht wurde, stimmt?

Meine Meinung

Sprachlos habe ich die letzte Seite gelesen, eine Träne weggewischt und eine Minute verharrt, bevor ich wieder aus dem Iran, den Dina Nayeri in ihrem Debüt zeichnet, in meine kleine heile Welt zurück gefunden habe. Ihr Roman "Ein Teelöffel Land und Meer" ist die Geschichte von Saba, die sich so fest an die Hoffnung klammert ihre Schwester und Mutter irgendwann wieder zu sehen, dass sie alle ihre Kraft darauf verwendet und diese Last, die zu einem dicken Stein geworden ist, immerzu mit sich herum trägt. Die Autorin zeigt in ihrem Buch die Sehnsucht nach einer intakten Familie auf und vor allem wird das enge Band, das zwischen Zwillingen und der Mutter besteht, sehr gut verdeutlicht.

Aber Dina Nayeris Debüt-Roman ist nicht nur ein Roman über eine Kindheit und Jugend in Iran nach der Revolution, sondern vor allem ein Roman über das Geschichten-Erzählen. Und so möchte ich eine Stelle zitieren, die diese Kunst ganz wunderbar in Sätze kleidet.

Wissen Sie, auch ich habe eine Gabe – die beste überhaupt, die Macht über Worte, über Legenden, Wahrheit und Lüge. Für Geld flechte ich aus Binsen Körbe und Hüte und kleine Teppiche, aber für meine Freunde kann ich eine Geschichte so fein und so schön spinnen, mit solchen Höhen und Tiefen und leisen Tönen, dass Kinder und Erwachsene sich davon bannen lassen wie Schlangen in einem Korb. Sie wiegen sich mit mir hin und her, lassen sich von mir entführen.

Saba will glauben, dass ihre Mutter und Mahtab leben, und so erzählt sie Geschichten aus deren Leben in den USA. Jede Geschichte ist 22,5 Minuten lang und endet damit, dass ein Problem von Mahtab, dem für sie glücklicheren Zwilling, mit einer Lösung endet. 22,5 Minuten, weil sie dies aus den amerikanischen Serien so kennt, die sie völlig überteuert auf dem Schwarzmarkt kauft. In ihren Geschichten hat Mahtab das bessere Leben, in dem sie selbst bestimmt handeln darf. Und gerade diese Ausflüge in das Reich der Phantasie waren für mich mit die berührendsten Stellen im Buch, haben sie doch versinnbildlicht, wie sehr Saba unter im Leben leidet und wie sehr sie davon träumt, so wie Mahtab leben zu dürfen.

Doch nicht nur Saba beherrscht die Kunst des Geschichtenerzählens und so kommt jede der Ersatzmütter und insbesondere Khanom Basir immer wieder zu Wort. Sie ist es auch, die enthüllt, was wirklich geschah und welches Schicksal sowohl die Schwester als auch die Mutter ereilt hat.

Wunderbar waren auch die Beschreibungen des Iran, die alle Sinne angeregt haben. Man konnte die Gewürze riechen und das hektische Treiben auf den Märkten vor Augen sehen. Aber nicht nur die schönen Seiten, sondern auch die Folgen der Revolution werden näher beleuchtet und diese Teile der Geschichte haben mich schockiert und verstört zurück gelassen. Schockiert, weil es doch nicht sein kann, dass eine junge Frau ausgepeitscht wird, nur weil sie rote Schuhe trägt. Verstört, über das grausame Regelwerk des postrevolutionären Irans, welches für Frauen kaum Hoffnung auf bessere Zeiten bietet.

Im Spätherbst 1992 endet die Geschichte um Saba. Und auch wenn es nicht überraschend war, war es in meinen Augen dennoch perfekt und hat mir Hoffnung gemacht. Hoffnung auf ein besseres Leben für Saba und darauf, dass sie irgendwann die unerträgliche Last von ihren Schultern streifen kann.

Fazit

Dina Nayeri hat ein sehr authentisches, lebendiges Bild des postrevolutionären Iran geschaffen. Es ist ein faszinierendes und zauberhaftes Buch. Die Figuren in "Ein Teelöffel Land und Meer" lieben Geschichten, wahre und erfundene und Dina Nayeri kann sich mit ihrem Buch in die Reihe dieser großartigen Geschichtenerzählerinnen einreihen.

Kommentare

callunaful kommentierte am 17. Oktober 2013 um 15:47

Das ist eine sehr schöne Rezension. Kann mich da nur anschließen!