Rezension

(K)ein (klassischer) Inselkrimi - Aber extrem spannend und unterhaltsam

Die Namenlosen von Amrum - Jürgen Rath

Die Namenlosen von Amrum
von Jürgen Rath

Bewertet mit 5 Sternen

Ein schön kautziger Protagonist, viele überraschende Wendungen, lehrreiches über Amrum und die Seefahrt - spannend bis zum Schluss!

Dies vorweg:

Die Namenlosen von Amrum ist der zweite Fall des Archivars Steffen  Stephan nach "Nordhörn - Ein Nordseekrimi". Den ersten Teil gelesen zu haben, ist vielleicht hilfreich, weil man die Hauptperson Steffen Stephan und ihren Hintergrund bereits kennt, ist aber nicht zwingend notwendig.

Zum Cover:

Das Titelbild zeigt den (Nordsee)strand im Sonnenuntergang. Dadurch entsteht eine schön melancholische Stimmung, die gut zum Titel passt. Zentraler "Ermittlungstatort" ist der "Friedhof der Namenlosen" auf Amrum, der die am Strand angeschwemmten Toten beherbergt. Der Sonnenuntergang passt daher symbolisch auch sehr gut.

Zum Inhalt:

Der Roman spielt im Jahr 1964. Steffen Stephan hat einen außergewöhnlichen Beruf: er ist Friedhofsforscher in einem Sozialhistorischen Institut in Hamburg. Weil sich Bücher über Friedhöfe schlecht verkaufen, soll er schnell mit einem neuen, interessanten Projekt aufwarten. Zur Inspiration macht er erstmal Urlaub auf Amrum, wo ihn der "Friedhof der Namenlosen" magisch anzieht. Dies ist ein Friedhof, auf dem alle auf Amrum angeschwemmten und nicht identifizierten Leichen bestattet werden. Als er mehr über diese Toten erfahren möchte, sind seltsamerweise die Einheimischen sehr verschlossen und mißtrauisch. Deshalb beschließt er, diesen zu seinem neuen Projekt zu machen. Im Institut drückt man ihm wider Willen die Praktikantin Lilianne auf. Steffen hatte bis dato kein Glück mit Frauen und arbeitet zudem lieber allein. Last, but not least ist Lilianne charakterlich das genaue Gegenteil von ihm.

Da ihm jedoch keine Wahl bleibt, stellt er mit Ihr zusammen weitere Nachforschungen zum "Friedhof der Namenlosen" an. Ihre Nachforschungen führen sie nicht nur nach Amrum, sondern auch in weitere Orte in Nordseegegend. Im Zuge der Ermittlungen entdecken Sie nicht nur Ungereimtheiten bezüglich der Gräberbelegung, sie merken auch, dass sie von den Inselbewohnern argwöhnisch beobachtet und schließlich sogar verfolgt werden. Sie wissen nicht mehr, wem sie trauen können und wem nicht und fragen sich warum sie so angefeindet werden...

Meine Meinung:

Der Archivar Steffen Stephan ist durch und durch Historiker. Er liebt die Ruhe in Archiven und ist gegenüber Frauen ein bisschen verklemmt. Teilweise ist sein Verhalten aber auch dadurch begründete, dass der Roman in den 60ern spielt und da hatte man - aus heutiger Sicht - eben noch etwas "altmodische" Ansichten. Das machte die Geschichte aber für mich besonders interessant und stellenweise auch amüsant zu lesen. Besonders seine kleinen Zwiesprachen mit sich selbst, die oft eine Prise Humor und Ironie beinhalten, lassen einen oft schmunzeln.
Der Roman selbst trägt zwar den Untertitel "Inselkrimi", liest sich aber nicht wie ein gängiger Krimi. Hier gibt es keine Leiche, die irgendwo gefunden wird und der Täter muss direkt ermittelt werden. Es gibt hier viele Leichen, die allerdings bereits beerdigt sind und von denen man nichtmal weiß, ob sie ermordet wurden oder einfach nur etrunken sind. Dies sind nämlich die Leichen vom Friedhof der Namenlosen auf Amrum. Erst die Recherchen von Steffen und seiner Praktikantin Lilianne decken nach und nach ein dunkles Inselgeheimnis auf.

Am Anfang kommt man sich ein bisschen vor, wie in einem Urlaubsroman, ein Archivar macht Urlaub an der Nordsee, um sich vor seinen beruflichen und privaten Problemen zu erholen. Erst nach und nach wird der Leser zusammen mit den Protagonisten in die Handlung hineingezogen. Aber genau das hat diesen Krimi für mich so ansprechend gemacht: er hat mich nie losgelassen, ich habe mir viele eigene Gedanken gemacht, statt mich einfach gradlinig durchführen zu lassen, wie ich es sonst in Krimis oft mache (weil es der Stil so hergibt). Es werden immer wieder viele kleine Hinweise gegeben und Spuren gelegt, mit denen man sich einfach befassen muss. Es kommen immer wieder neue Wendungen der Handlung, es bleibt bis zum Schluss spannend und das Ende war für mich überraschend.

Besonders schön ist auch, dass Herr Rath als erfahrener Seemann viel seiner Kenntnisse über Seefahrt und die Nordsee in die Handlung einbindet. Eine Karte des historischen Amrum sowie ein Glossar am Ende runden den Roman ab und ich habe viel dazugelernt. Das Glossar hätte m. E. noch ein paar Begriffe mehr enthalten können, aber vielleicht wird dies in der 2. Auflage der Fall sein.

Und auch der Archivar ist mir im Zuge des Romans sehr ans Herz gewachsen, auch wenn ich aus ihm nicht so richtig schlau geworden bin - aber welche Frau wird schon aus Männern schlau? :-) Ich werde definitiv Teil 1 auf Nordhörn noch nachholen. Ich kann diesen Roman uneingeschränkt weiterempfehlen und hoffe auf eine Fortsetzung!