Rezension

Lebendiges Mittelalter

Das Heilige Blut
von Anne Grießer

Bewertet mit 4 Sternen

»Erschrocken hatte sie am Morgen nach Heinrich Ottos Tod dem Leichnam Augen und Mund verschlossen, um den bösen Blick daran zu hindern, einen Lebenden nachzuholen, und um der entwichenen Seele die Rückkehr in den toten Körper zu verwehren.«

Dürn, im September 1391. Pfarrer Heinrich Otto ist alt und krank. Doch sich einfach dem Sterben ergeben kann er nicht, zu sehr lastet etwas auf seinem Gewissen, das er als große Sünde empfindet. Seiner Großnichte Fronika vertraut er sich an und fortan trägt sie die Verantwortung für das, was später als das Blutwunder von Walldürn bekannt werden sollte. Eine Verantwortung, die sie nie wollte, mit der sie nicht umzugehen weiß und die sie in große Gefahr bringen wird…

 

Eine gleichzeitig fesselnde und unterhaltsame Geschichte wird hier erzählt. Fronika ist ein ganz gewöhnliches junges Mädchen, eine Küchenmagd ohne Bildung und ohne nennenswerte Zukunftsperspektiven. Das bisschen Sicherheit, das sie hat, wird ihr noch genommen, als sie zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt wird. Die Flucht zu ihrem Onkel, dem Pfarrer Heinrich Otto, wird sie vom sprichwörtlichen Regen in die Traufe bringen. Dieses Grundthema – junge Frau im Mittelalter steht unschuldig vor lebensbedrohlichen Problemen – ist nicht neu, hier aber wirklich lesenswert umgesetzt.

 

Besonders gefiel mir, wie der damals existierende Volksglaube dargestellt wird. Dieses Nebeneinander von christlichem Glauben, enormer Frömmigkeit und mindestens genauso großem Aberglauben finde ich immer wieder faszinierend! Natürlich kann man dieses Phänomen aus heutiger Sicht erklären, das macht es aber nicht weniger interessant. Eindringlich wird gezeigt, wie manche diesen naiven Glauben, diese Unbildung der einfachen Menschen, für ihre Zwecke ausnutzten. Was kann man glauben? Wem darf man vertrauen? Zwei Fragen, die damals wie heute von enormer Wichtigkeit waren und sind. Die Spannung in der Geschichte, die sich hier entwickelt, wird zudem noch verstärkt durch gut eingesetzte Krimielemente. Ein paar andere Dinge in der Handlung (wie zum Beispiel die Liebesgeschichte) sind recht vorhersehbar, daher auch nur 4 Sternchen und nicht 5 ;-)

 

Fazit: Eine hochinteressante Reise in eine Zeit voller Glauben und Aberglauben.

 

Das Nachwort ergänzt historische Fakten und Legenden über den Ort der Handlung und zeigt auf, wie sich die Geschichte des Buchs entwickelte. Der Legende nach ereignete sich im Jahr 1330 in der kleinen Ortschaft Walldürn in Baden-Württemberg das Blutwunder von Walldürn. Damals verschüttete Pfarrer Heinrich Otto nach der Wandlung aus Unachtsamkeit das Blut Christi über ein Altartuch, woraufhin auf dem Tuch das Bild des Gekreuzigten entstand. Dem Tuch werden Heilkräfte zugesprochen und seit dem 15. Jahrhundert bis zum heutigen Tag pilgern Gläubige nach Walldürn, um das Tuch zu bewundern.