Rezension

Leider eine große Enttäuschung...

ESCAPE - Wenn die Angst dich einholt - Nina Laurin

ESCAPE - Wenn die Angst dich einholt
von Nina Laurin

~ „Escape“ hat mich ingesamt leider sehr enttäuscht, obwohl das Thema Potential hatte. Das lag vor allem am einfachen, uninspirierten Schreibstil, an der unsympathischen Protagonistin, deren Verhalten ich oft nicht nachvollziehen konnte, und am dünnen Plot (und dadurch an der mangelnden Spannung). Die Stärken des Buches wie die relativ überraschende Wendung am Ende und die vereinzelten, intensiv beschriebenen emotionalen Momente wurden von den Schwächen bei Weitem überwogen. Leider traf Nina Laurins Debüt so gar nicht meinen Geschmack und ich kann dafür nicht mehr als eineinhalb Sterne vergeben. ~

Inhalt

Laine Moreno ist eine Überlebende. Im Alter von zehn Jahren wurde sie entführt und drei Jahre lang von einem Mann mit einer Ledermaske missbraucht. Hochschwanger gelingt ihr die Flucht, ihr Mädchen gibt sie zur Adoption frei. Seit zehn Jahren behält die junge Frau nun schon die Vermisstenplakate im Auge, denn der Täter wurde nie gefasst. Jahrelang gibt es keine vermissten Mädchen, die seinem Beuteschema entsprechen, doch das ändert sich, als sie in ihrem Job den Auftrag bekommt, Flugzettel aufzuhängen. Das Bild auf dem Flyer sieht ihr unglaublich ähnlich – es ist ihre Tochter. Laine muss sich ihrer schweren Vergangenheit stellen. Sie muss sich endlich an ihre Entführung erinnern, um ihre Tochter zu retten…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Es werden keine Tiere gequält oder getötet. Jedoch wird angedeutet, dass es in Ordnung sei, Käfer absichtlich und ohne ein Gefühl der Reue zu zertreten.

Warum dieses Buch?

Ich habe im Vorfeld einige ziemlich begeisterte Rezensionen gelesen, in denen von den unerwarteten Wendungen geschwärmt wurde. Erst später habe ich gesehen, dass das Buch wohl ziemlich polarisiert. Das alles hat mich sehr neugierig gemacht!

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

Den Prolog habe ich als sehr gelungen und angenehm empfunden. Man begleitet Ella, später Lainey, bei ihrer Flucht und fühlt natürlich sofort mit ihr mit. Gleichzeitig tauchen sofort viele Fragen zur Situation auf, die man unbedingt beantwortet haben will. Leider hörte meine Begeisterung beim ersten Kapitel in der Gegenwart ganz schnell wieder auf. Danach hat es lange gedauert, bis ich wirklich in die Geschichte gekommen bin.

„Sie ist an die Grabesstille im Keller gewöhnt; all die leisen nächtlichen Geräusche sind ein Anschlag auf ihre Trommelfelle und zerren an ihren Nerven.“ Ebook, Position 36

Inhalt, Themen & Botschaften (-)

Es ist keine absolut neue Idee, die Nina Laurin hier in ihren ersten Debütroman packt, jedoch hatten sowohl die Themenwahl als auch die Ausführung viel Potential, da ernste Aspekte angesprochen werden. Es geht um Traumata, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung und wie diese furchtbaren Erlebnisse das Leben beeinflussen, um Medikamentenmissbrauch und Drogenabhängigkeit, um schwierige, menschliche Beziehungen und um die Klassenzugehörigkeit, aus der sich nicht so leicht ausbrechen lässt. Leider gelingt es der Autorin nur selten, diese wichtigen Aspekte mit einer Tiefgründigkeit zu behandeln, die sie verdient hätten. Vieles wird leider nur angeschnitten, oft fehlt die Logik und ich blieb als Leserin enttäuscht zurück.

Dazu kommt, dass der Plot leider sehr dünn ist und nur sehr, sehr langsam in Fahrt kommt. Es braucht viel Geduld, um in diese Geschichte zu hineinzukommen, und nach all den Mühen, die es von mir verlangt hat, bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es das wert war. Ich hatte das Gefühl, hier eine Collage aus bekannten Elementen anzutreffen, die ich alle schon einmal besser ausgeführt gesehen habe.

Schreibstil (-!)

Überhaupt nicht überzeugen konnte mich leider der Schreibstil. Er hat zwar auch seine guten Momente, in denen er Laineys Gefühle treffend zum Besten gibt, aber insgesamt stellt er für mich eine der größten Schwächen des Buches dar. Er ist einfach, aber uninspiriert. Die Sprache enthält viele Wiederholungen und nur einen sehr grundlegenden Wortschatz, der mich überhaupt nicht ästhetisch angesprochen hat. Ich empfand die vielen mit Beistrich aneinander gereihten Hauptsätze als sperrig und teilweise zu lang. Hier wurde wohl versucht, von den einfachen Strukturen abzulenken, indem man einfach ganz viele davon zu augenscheinlich komplexeren Gebilden zusammenschließt. An vielen Stellen habe ich nicht verstanden, warum nicht einfach Punkte gesetzt wurden. Das hätte den Text oftmals viel besser gegliedert.

Zudem war mir der Schreibstil oft nicht anschaulich genug. Ich konnte mir manche Szenen nur mühsam vorstellen, es fehlten mir Details. Dazu kamen außerdem noch die teilweise überdramatischen, pathetischen, fast schon kitschigen Formulierungen, die mich einfach nur die Augen verdrehen haben lassen. Übrigens sollte man sich auf einige Schimpfworte gefasst machen (mich hat das aber nicht gestört, weil es meist zur Protagonistin gepasst hat).

„Sie besitzt das Aussehen einer Frau, die zwar nicht von Natur aus schön ist, als Mädchen aber halbwegs attraktiv war und sich gepflegt hat und deshalb gut gehalten, das Ganze mithilfe von viel Geld und begünstigt durch den Umstand, dass sie nie auch nur einen gottverdammten Finger für ihren Lebensunterhalt rühren musste.“ Ebook, Position 486

Protagonistin & Figuren (-)

Laine wurde mir leider im Laufe der Geschichte immer unsympathischer. Ich konnte ihre Entscheidungen oft nicht nachvollziehen, vor allem, weil sie sich meist vollkommen bewusst ist, dass sie schlecht sind. Sie macht es einfach trotzdem und manövriert sich dadurch in problematische und gefährliche Situationen. Die Einsicht erfolgt immer zu spät. Und selbst dann lernt Laine nichts fürs nächste Mal: Sie begeht denselben Fehler wieder und wieder. Dazu kommt ihre Medikamentenabhängigkeit, durch sie die meiste Zeit benebelt und nicht zurechnungsfähig ist. Leider wird diese Sucht aber nicht so geschildert, dass ich mit der Person wirklich  mitfühlen konnte. Mit ihren total übertriebenen Gewaltphantasien und ihrer Art, sogar freundliche Menschen gemein zu behandeln, konnte Laine bei mir ebenfalls keine Pluspunkte sammeln. Ich fand sie nervig und anstrengend und entdeckte leider fast keine Eigenschaften an ihr, die ich mochte.

Es gibt nur wenige Nebenfiguren und auch über sie erfährt man nur wenig. Viele bleiben blass oder werden auf eine oder zwei dominante Eigenschaften reduziert. Auch ihr Verhalten konnte ich oft nicht nachvollziehen – viele erschienen mir leere Hüllen zu sein, die mechanisch tun, was die Autorin befiehlt. Lediglich für Sean, den Polizisten, empfand ich vage Sympathien – verstanden habe ich sein Verhalten (die Logik dahinter) auch oft nicht. Interessanterweise hat mir die Liebesgeschichte, obwohl sie recht unwahrscheinlich erscheint, relativ gut gefallen, Chemie war auf jeden Fall vorhanden. Auch diese Wärme, die Laine in den Armen ihres Liebhabers empfindet, kam überzeugend bei mir an.

„[Die Frau] kommt mir vage bekannt vor – von der Pressekonferenz, sie hat mich gefragt, was ich empfunden hätte, als ich es erfuhr –, und für den Bruchteil einer Sekunde wünsche ich mir inbrünstig, ich könnte die brennende Zigarette in ihrem Auge ausdrücken, sie ganz fest reindrücken und dann drehen.“ Ebook, Position 1484

Spannung & Atmosphäre (+/-)

Die Atmosphäre ist schmutzig, düster, deprimierend. Laine befindet sich nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens, kämpft mit ihrem Trauma und ihren zahlreichen Problemen. Hierbei wird auch nichts beschönigt, was mir gefällt.

Der Anfang ist wirklich spannend, doch mit jeder Seite nahm meine Neugier mehr ab. Bis es zu bedeutenden Ereignissen kommt, vergehen fast drei Viertel des Buches. Mehrmals habe ich überlegt, einfach abzubrechen oder den Rest zu überfliegen, weil mir der Ausgang fast schon gleichgültig war. Viel Potential wurde auch verschenkt, weil man von der Polizeiarbeit gar nichts mitbekommen hat und nicht wusste, wie die Fortschritte aussehen. Einen Teil der überraschenden Wendung konnte ich erraten, weil ich die Anzeichen zu deuten wusste. Insgesamt war sie ok, aber auch nicht mehr – eine typische Thrillerauflösung, die man so schon hundertmal gelesen hat. Sehr schade!

Geschlechterrollen (-)

Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind teilweise toxisch und sehr ungesund. Es kommt zum Ausnutzen von Schwäche, zu Prostitution und zu Szenen, die am Rande einer Vergewaltigung spielen. Gestört hat mich außerdem hier wieder, dass Frauen wieder nur mit Worten beschimpft werden, die auf ihr Liebesleben Bezug nehmen. Sie sind stets Schla****, Mistst****, Nu*** und F****. Natürlich verstehe ich, dass die Autorin hier die traurige Realität darstellt, dennoch wird hier geradezu mit diesen Worten um sich geworfen. Verurteilungen oder Versuche, Frauen kleinzuhalten, waren vielleicht im Mittelalter noch angesagt, heute sind sie nichts als erbärmlich! Wenn nur der Bösewicht so reden würde, wäre es mir ja noch egal – immerhin ist er böse! – aber auch Laine beschimpft andere Frauen auf diese Weise und ist auch sonst sehr streng bei der Bewertung ihres Aussehens. Medien (auch Bücher) prägen unbewusst unsere Wirklichkeit – aus diesem Grund wird es Zeit, dass Autoren und Autorinnen endlich sensibler auf dieses Problem eingehen.

Mein Fazit

„Escape“ hat mich ingesamt leider sehr enttäuscht, obwohl das Thema Potential hatte. Das lag vor allem am einfachen, uninspirierten Schreibstil, an der unsympathischen Protagonistin, deren Verhalten ich oft nicht nachvollziehen konnte, und am dünnen Plot (und dadurch an der mangelnden Spannung). Die Stärken des Buches wie die relativ überraschende Wendung am Ende und die vereinzelten, intensiv beschriebenen emotionalen Momente wurden von den Schwächen bei Weitem überwogen. Leider traf Nina Laurins Debüt so gar nicht meinen Geschmack und ich kann dafür nicht mehr als eineinhalb Sterne vergeben.

Empfehlung: Ich kann das Buch leider nicht weiterempfehlen.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 2,5 Sterne
Ausführung: 1,5 Sterne
Schreibstil: 1,5 Sterne
Protagonistin: 1 Stern
Figuren: 2 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 1 Stern
Geschlechterrollen: -

Insgesamt:

❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir enttäuschte 1,5 Lilien!