Rezension

Liebe (?) zwischen den Kriegen

Das Mißverständnis - Irène Némirovsky

Das Mißverständnis
von Irène Némirovsky

Bewertet mit 4.5 Sternen

Als der von den Schützengräben des Ersten Weltkriegs traumatisierte Yves in das Seebad zurückkehrt, wo früher seine Familie zusammen mit anderen reichen Pariser Müßiggängern die Sommer verbrachte, begegnet er der verwöhnten Denise, die ihm zum Spaß den Kopf verdreht. Aus dem Zeitvertreib wird schnell eine leidenschaftliche Liebesaffäre, die jedoch an den Klippen des Alltags zerschellt. (Verlagsseite) 

Yves, ein ungebundener junger Mann, verliebt sich in die (mit einem ständig beruflich abwesenden Ehemann) verheiratete Denise, Mutter einer Tochter. Sie verleben zunächst unbeschwerte Urlaubstage, bis es zurück nach Paris geht. 
Denise, die sich um ihr Auskommen keine Gedanken zu machen braucht, fehlt es einerseits an Einfühlungsvermögen für den mittellosen Yves, andererseits hängt sie sich verzweifelt an ihren Geliebten und verlangt ständig neue Liebesbeweise und –geständnisse. 
Doch auch Yves fühlt sich gespalten: Ihm wird die Affäre nicht nur finanziell langsam zu viel, auch Denises Drängen belastet ihn; dennoch hat er sich so verstrickt, dass er immer wieder nachgibt und letztendlich aus Mitleid nicht den Mut aufbringt, die Beziehung zu beenden, obwohl sie für seinen Seelenzustand – heute würde man ihn Kriegstrauma nennen – kein Verständnis aufbringt. 

Némirovsky war 23 Jahre alt, als sie diesen Roman, ihren Erstling, schrieb.
Mit einer für dieses Alter unglaublichen Präzision und Klarheit schildert sie die Empfindungen der beiden Protagonisten, charakterisiert sie dadurch mit scharfen Konturen: Das verwöhnte Püppchen Denise, das sich, weil im Alltag gelangweilt und nie von einem Problem berührt, in eine Liebesaffäre stürzt, um sich endlich lebendig zu fühlen, dabei weniger den Menschen Yves im Blick hat, sondern eher verliebt ist in ihre eigene Verliebtheit und das, was sie für Verzweiflung hält.
Yves dagegen, introvertiert und schwermütig, macht sich das Leben umso schwerer, je mehr er sich innerlich von Denise entfernt und dennoch nicht von ihr loskommt, sogar ihretwegen ein berufliches Angebot in Finnland, das ihn endlich von seinen finanziellen Nöten befreien würde, zunächst ausschlägt. Auf eine sensible, aber präsente Art lässt Némirovsky Yves’ Kriegserinnerungen einfließen, lange bevor das Wort „Trauma“ dafür geprägt wurde. Nicht als Zustand andauernder depressiver Stimmungen, sondern wie eine Hülle, die ihn ständig umgibt.

Eigentlich ein Zwei-Personen-Roman, die anderen Figuren – Denises Ehemann, Tochter, Mutter, Freunde – nehmen die Rollen von Statisten an. Dennoch wirkt der Roman nicht wie eine Nabelschau, obwohl er sich fast ausschließlich um die inneren Vorgänge der beiden Protagonisten dreht und nur spärliche Handlung bietet. Schon in diesem Roman beweist Némirovsky, dass sie einmal zu Frankreichs großen Literaten des 20. Jahrhunderts gehören wird. Gut, dass ihre Bücher inzwischen nach und nach als Übersetzungen erschienen sind. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 27. November 2014 um 17:28

Irène Némirovsky gehört zu den großen Literaten des 20.Jahrhunderts?