Rezension

Liebevoll, verrückt und traurig

Warten auf Bojangles - Olivier Bourdeaut

Warten auf Bojangles
von Olivier Bourdeaut

Bewertet mit 3 Sternen

Georges liebt seine Frau hingebungsvoll. Er nennt sie nicht länger als zwei Tage beim selben Namen, die beiden mixen sich Cocktails, sie tanzen zum einzigen Lied, das auf ihrem Plattenteller laufen darf: Nina Simones ‚Mr. Bojangles‘. Ihr Leben ist ein rauschendes Fest voller Originalität und wahnwitziger Ideen.

„Fahren Sie schneller, sonst holen Ihre Lügen uns noch ein“, rief sie, die Arme aus dem Cabrio nach oben gestreckt.“ (S. 56)

Gemeinsam mit ihrem Sohn machen sie Urlaub in ihrem Wolkenschloss in Spanien; Georges Frau nimmt alle für sich ein, sie ist extravagant und charismatisch.

„Die Wahrheit taugt nichts, dabei war sie diesmal sogar lustiger als jede Lüge…“ (S. 9)

Das lernt der Namenlose Ich-Erzähler des Romans „Warten auf Bojangles“ schon sehr früh und wächst mit der Verrücktheit seiner Eltern in einer Umgebung auf, in der gefeiert wird, wann immer es geht, wo ein skurriller Umgang miteinander herrscht, weil jeder sich Siezt und wo das Leben daraus besteht, sich gegenseitig phantasievolle Geschichten aufzutischen.

Auch aus der Sicht seines Vaters George wird dieser Roman erzählt. Als dieser eines Tages nach Hause kommt, findet er seine Frau völlig verwirrt auf einer Krankentrage vor dem Haus. Mit einer ihrer verrückten Ideen hat sie aus Versehen die Wohnung in Brand gesetzt. Jetzt finden die Ärzte ein eine Diagnose für ihre Verrücktheit.

„Hysterie, Bipolarität, Schizophrenie, die Ärzte hatten sämtliche wissenschaftliche Terminologie aufgefahren, um ihren Wahn in Worten festzuhalten.“ (S. 112)

Und sie haben auch eine Therapie. Doch die würde bedeuten, dass Georges und seine Frau alles verlieren, wofür sie bislang gelebt haben. Und so entführen Vater und Sohn sie kurzerhand nach Spanien, in der Hoffnung, ihr Leben dort wie bisher weiterführen zu können.

„Das Unternehmen Liberty Bojangles war der Tritt in den Arsch der Vernunft, den mein Sohn angeregt hatte. Ich wollte mich nicht damit abfinden, den Roman, der unser Leben war, ohne theatralischen Schlusspunkt zu beenden. Wir mussten doch unserem Sohn ein Ende bieten, das auf der Höhe der Erzählung lag, ein Finale, das es in sich hatte, ein Ende voller Heiterkeit und Gefühle.“ (S. 124)

Traurig und schön zugleich, anmutig leicht und doch tief berührend – „Warten auf Bojangles“ war der Überraschungsbestseller des französichen Bücherjahres, wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Vorausschauend heißt es schon gegen Ende dieses Romans so treffend:

„Verkehrt herum gelogen, richtig herum gelogen, das Buch meines Vaters eroberte die Buchhandlungen auf der ganzen Welt.“ (S. 156)

Mich lässt dieses Buch jedoch zwiespältig zurück. Ich habe den liebevoll verrückten Umgang und die Leichtigkeit, mit der Georges und seine Frau das Leben zu genießen wissen, sehr gemocht. Hier wird man Zeuge einer abgedrehten nicht schnulzigen Liebesgeschichte, die Spaß macht und einem aufgrund der Sprache und der gut gewählten Formulierungen das ein oder andere Schmunzeln entlockt. Doch ab einem gewissen Punkt wurde mir das alles zu viel, weil mein Mutter-Ich überhand nahm und ich nicht damit zurechtkam, dass ihr Junge in verantwortungsloser Umgebung aufwächst, in der Phantasie, Wahrheit und Lüge kaum zu unterscheiden sind. Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los und so konnte ich an diesem Roman bis zum Schluss und erst recht mit dem Schluss keine Freude mehr haben.

Hinsichtlich der manisch-depressiven Erkrankung und der Psychiatrie gibt es in diesem Roman nichts zu erfahren. Man merkt im Gegenteil, dass der Autor hier seiner Phantasie freien Lauf lässt. Als von dieser Krankheit selbst Betroffene möchte ich sogar so weit gehen und ebenfalls Erkrankten von der Lektüre dieses Buches eher abraten, da es unter Umständen triggern könnte.

Wer jedoch eine liebevoll verrückte und traurige Liebesgeschichte lesen möchte und dabei die vorgenannten Punkte ausblenden kann, dem könnte dieses Buch gefallen – den übrigen sei andere Lektüre empfohlen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 21. Juli 2017 um 09:18

Spoiler.